Übertriebene Gerüchte. Marsch von halb 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends über Romigny bis Brouillet. Dann Mittagessen.
9 Uhr vormittags: Die Anstrengungen und Entbehrungen, die uns augenblicklich durch den Krieg auferlegt werden, sind wirklich nicht gering. Auch der gestrige Tag hatte seine Mucken. Marsch, Batteriedeckungsbau, stundenweites Wasserholen für Pferde und Mannschaften hatten uns aufs äußerste angespannt. Um 9 Uhr abends kamen wir endlich in Quartier. Wir hätten uns liebend gern aufs Ohr gehauen. Doch bevor wir uns häuslich einrichten konnten, ordnete ein dringender Befehl der Division den Weitermarsch an.
Erst um 1 Uhr nachts schlugen wir in Port à Binson an der Marne unser 2. Nachtquartier auf – wieder unter freiem Himmel, diesmal jedoch mit weniger angenehmen Begleiterscheinungen
Das Wetter hatte sich im Laufe des Tages gedreht. Mit Einbruch der Dunkelheit begann es zu regnen. Lagerstroh war nicht mehr aufzutreiben. Der nasskalte Boden saugte sich an unserer Kleidung fest und setzte die Körpertemperatur schnell auf den Nullpunkt. Wir schutterten und schauerten und klapperten mit den Zähnen. Trotz der Übermüdung fand niemand den rechten Schlaf – und ehe wir’s uns versahen, war die Nacht rum.
Schon beim ersten Morgengrauen – gegen 5 Uhr – wurden wir geweckt. Halb 7 Uhr vormittags ging es beim Quartierort über die Marne. Jetzt endlich finden wir Zeit zu einer kurzen Rast. Wir sind froh, dass wir alles hinter uns und glücklich überstanden haben.
Aber nicht nur die körperlichen Strapazen sind es, die uns so zusetzen. Auch seelisch würgt uns der Rückzug ab.
Kein Mensch weiß mehr, was wirklich los ist. Die Luft hängt voll seltsamer Gerüchte. Niemand kann sagen, wo sie herkommen. Sie ballen sich zusammen wie ein Gewitter, sind plötzlich da und ersticken den letzten Rest von Hoffnung und Vertrauen.
Auch gestern Abend – kurz vor Toreschluss – legte sich dieses Gespenst der Ungewissheit wie ein Alp auf die Gemüter. “Feinde ringsum!” so hieß es auf einmal. Unsere große Bagage sollte bereits von den nachstürmenden Franzosen gefangen genommen worden sein und jede Minute rechnete man mit dem gleichen Schicksal für die in dem Talkessel rastenden Truppen, zu denen auch wir gehörten.
Heute hat der Tag mit seinem strahlenden Sonnenschein selbst die kleinsten Gemüter wieder aufgehellt und uns davon überzeugt, dass an der angeblichen Mausefalle, in die wir geraten sein sollten, zumindest noch ein Ausweg geblieben sein muss.
Die Kriegslage erhält nunmehr etwa folgende Deutung: “Unsere 14. Division soll sich jetzt auf dem rechten Flügel der 2. Armee befinden. Nachdem wir gestern endlich wieder ein paar Erfolge gegen den stark verschanzten Feind errungen haben, versuchen wir heute den Anschluss an die vor Paris kämpfende 1. Armee zu erlangen, indem wir mit größtem Eiltempo in nordwestlicher Richtung über Romigny marschieren.
7 Uhr abends: Wir haben in Brouillet Quartier bezogen und endlich unser “Mittag”-essen erhalten. Um 12 Uhr war noch nicht einmal das Wasser hierfür im Feldkessel. Später gab es eine vierstündige Rast und dabei auch Gelegenheit, diesen Mangel zu beheben.
Der nächste Tagebucheintrag folgt am 11.9.