Stellungswechsel nach Salomé. Auch hier Engländer gegenüber. Viele Gefangene. Furchtbare Wirkung einer feindlichen Fliegerbombe.
Seit 7 Uhr morgens sind wir wieder bei den Geschützen.
Unser gestriger Vorstoß war ein voller Erfolg. Während die 3. Batterie vorläufig noch in der alten Stellung bleibt, werden wir hier nicht mehr gebraucht.
Um 11 Uhr vormittags kommt der Befehl: “Rohre frei!”
Gegen 1 Uhr marschieren wir nach links, um unsere Geschütze südlich von Salomé neben der bereits in Stellung befindlichen 4. Batterie auszufahren.
Unterwegs begegnet uns ein Trupp Gefangener – 2 Offiziere und etwa 100 Mann – der unter Kavalleriebedeckung nach rückwärts gebracht wird. Ich bin erstaunt, wie wenig Mann genügen, diese große, jetzt allerdings entwaffnete Schar im Zaune zu halten.
Ein kurzer Ruf des Transportleiters, ein scharf anreitender Kavalleriegaul, hier und da auch nur eine Lanzenspitze lassen die noch vor wenigen Stunden so tapferen Kriegsgesellen zusammenfahren. Sie rücken ängstlich aneinander und möchten es, nachdem sie soeben mit einem blauen Auge davongekommen sind, mit keinem von uns mehr verderben. Fast beneide ich sie um ihr Los – denn für sie ist der Krieg und die Ungewissheit des eigenen Schicksals nunmehr zu Ende.
Bei der 14. Infanteriedivision wurden gestern sogar 400 Gefangene gemacht und 4 Maschinengewehre erbeutet.
Diese sichtbaren Fortschritte heben den Mut unserer Truppen – trotz der starken eigenen Verluste.
Unsere Infanterie hat sich übrigens verschworen, dem Feinde gegenüber kein Pardon mehr zu geben, sondern entsprechend dem Vorgehen der Engländer – diesen Verrätern der eigenen Rasse, die uns von Anfang an völlige Vernichtung geschworen haben – ebenfalls alles niederzumachen. Die heutigen Gefangenen können unter solchen Umständen wirklich von Glück sprechen.
3 Uhr Mittagessen.
1 Stunde später – wir stehen mit unseren Protzen zu beiden Seiten der Dorfstraße – ereignet sich ganz in unserer Nähe ein entsetzliches Unglück.
Einem der zahlreichen feindlichen Flieger ist es nach mehreren vergeblichen Versuchen gelungen, einige Bomben mitten in eine auf dem freien Felde aufgefahrene Munitionskolonne zu werfen. Die Folgen sind kurzgesagt :3 Mann tot, 4 Mann schwer verwundet (davon 2 jeder ein Bein verloren); außerdem etwa 25 Pferde tot, vom sonstigen Schaden an Material ganz zu schweigen. Das Bild, das sich mir in dieser Zuammenstellung bietet, ist grausig. Ich vermag es in seinen Einzelheiten diesem kleinen Büchlein, das – wie seine Vorgänger – nun schon viel Leid und Freud in sich birgt, nicht anzuvertrauen.
Der Flieger kann jedenfalls mit seinem Erfolg zufrieden sein.
Ist das nun aber wirklich der ganze ethische Gewinn dieses Krieges (der uns bei unserem Ausmarsch aus der Heimat so eindringlich vorgepredigt wurde), dass die Kämpfenden eine besondere Genugtuung darüber empfinden, wenn ihre Gegner sich im Blute wälzen? Oder ist es nur die fortschreitende eigene Verrohung, die eine so wahnwitzige Verwechslung der Begriffe erzeugt?
Wo wir klagen sollten, da fangen wir an, uns zu entzücken.
Auch die Zeitungen aus der Heimat berichten noch bei jedem Sieg, der erfochten wird, mit welch ungeheurem Jubel und welcher Begeisterung unsere Erfolge aufgenommen werden. Ich glaube wohl, dass der Freudentaumel der Unbeteiligten merklich gedämpft würde, wenn sie nur ein einziges Mal sähen, wie diese Siege errungen werden müssen.
6 Uhr abends schlagen wir in einem kleinen Garten Biwak für Fahrzeuge und Pferde auf. Die Mannschaften beziehen ein großes Gehöft.
Ich selbst komme erst spät zur Ruhe, denn die Ereignisse des Tages gehen in meinem Kopfe um wie ein Mühlrad. — Es ist das erste Mal, dass ich versuche, den täglichen Geschehnissen eine tiefere Bedeutung abzugewinnen – und schon macht sich die Kehrseite dieses großen Völkerringens bemerkbar.
Der nächste Tagebucheintrag folgt am 22.10.1914