Regen in der Stube. Die ersten Weihnachtspakete.
Und das Unglück schreitet schnell! Auf unsere “gute Stube” müssen wir heute verzichten. Das zerschossene Dach hat den Strömen nicht standhalten können.
Von unserer 14. Infanteriedivision ist ein Gegenangriff bei La Bassée geplant. Die Artillerievorbereitung ist bereits im Gange.
Bei uns dagegen herrscht vollkommene Ruhe. Die ersten Vorboten des nahenden Weihnachtsfestes in Gestalt von fünf Weihnachtspaketen bilden für mich das größte Tagesereignis – worüber ich erst halb 12 Uhr nachts in den Schlaf komme.
Aber nicht nur die vielen Zeichen verwandtschaftlicher und freundschaftlicher Liebe aus der Heimat sind es, bei deren Betrachten die Zeit wie im Fluge enteilt, sondern vor allem auch das in einer Liebesgabensendung der “Turngemeinde” Witten beigefügte Gedichtchen, das mich – ob ich will oder nicht – auf den Pegasus zwingt, meinen Dank postwendend – ebenfalls in Versen – abzustatten.
Und was nun beiderseits bei diesen poetischen Ergüssen herauskam, mögen folgende Zeilen künden:
Gruß der “Turngemeinde Witten” an die Feldgrauen!
Zum Weihnachtsfeste 1914.
Liebe Turngenossen!
Das Material, vom Turnverein gespendet,
Das Frau’n und Mädchen in Treu und lieb vollendet,
Mög’s Euch erwärmen, wenn ihr je erkaltet,
Wenn über Euch die Nacht der rauhen Flügel faltet.
Denn Tabak und Zigarren, engvereint,
Sie sind des Feldsoldaten größter Freund.
Sie mögen Euch erfreu’n zum frohen Feste
Als immer hoch willkommne Geste.
Die Turner sowie die Angehörigen alle,
Sie wünschen Heimkehr Euch in jedem Falle.
Und kehrt Ihr dann zurück ins traute Heim,
Wie wird Euch dann so froh zu Mute sein.
Ja, kehrt Ihr heim, Ihr tapferen, braven Schelme,
Dann schmücken wir mit Lorbeer Eure Helme,
Mit Dank empfängt man dann Euch wackeren Krieger,
Als todesmutige, brustgeschmückte Sieger.
Die Frauen-Abteilung der Turngemeinde Witten
Dank eines Feldgrauen, dessen Herz trotz mancher Not und Pein für die Heimat noch immer im alten Takt schlägt:
Den lieben Turnerinne der Turngemeinde Witten!
Es ist im Leben hässlich eingerichtet,
Das neben Rosen gleich ein paar Dornen stehn.
Ihr habt mir da ein schönes Lied gedichtet,
Das meinem Kopfe wird recht unbequem.
Denn nie ergriff zum Reim ich meine Feder;
Verzweifelt kau’ ich jetzt am Stift wie jeder,
Der sucht nach Dankesworten im Poem
— Vielleicht gelingt es doch? Wir woll’n mal sehn:
Ja danken wollt’ ich Euch, ihr lieben Frauen,
Euch braven Mädchen, die mit freud’ger Hand
Ihr Euren Turngenossen aus Westfalens Gauen
Habt Liebesgaben zu dem Fest gesandt.
Was kann wohl größere Freude uns bereiten
Jetzt, als ein Gruß vom heim’schen Herd?
So dachtet Ihr und schnürt beizeiten
Ein Kistchen dessen Inneres beschwert;
Beschwert mit vielen, lieben Dingen,
Mit “Material”, sagt Ihr, vom Turnverein!
Aus so viel Liebe strahlt nur einer Losung Schein:
“Jetzt wird und muss der Sieg gelingen!”
Mit Sorgfalt hat die liebe Hausfrau Seife,
Tabak, Zigarren und noch anderes ausgesucht;
Und neben Strümpfen legt im stillen Eifer
Das liebe Mädchen Süßigkeiten zu.
Doch jeder nur gelang es unbestritten
So schön als Turnerin der Turngemeinde Witten!
Ein neuer Mut fließt aus den Gaben,
Und neue Kraft bringt uns der Gruß.
Da Treue ward von Euch gehalten,
Besigle meine Treue euch ein … Kuss.
Natürlich küsse ich nur — in Gedanken,
Doch kehr’n wir heim: (so fallen alle Schranken,
Denkt freudig ihr) — Nein, nein zu früh
Jauchtzt euer Herz. Ich wollt nur sagen:
Soll’n Lorbeer “wir” aus Euren Händen tragen,
Vergesst vor allem nicht die viele Müh’
Die “Ihr” Euch habt gemacht um uns, im Helme
Ihr lieben, braven, guten Schelme.
Der nächste Tagebucheintrag folgt am 21.12.