1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

17.9.1917 Das sechstägige Dauer-Mauscheln

/ / 21.7.-1.11.1917 Verdun

Das sechstägige “Dauer-Mauscheln”. Der Hundefänger der Batterie.

Sechs Tage Ruhe liegen hinter mir. Ich könnte ebensogut sagen: “Das sechstägige Dauermauscheln ist beendet.”

Wie kann man nur an einem so einfachen, dummen Kartenspiel sechs Tage und sechs Nächte lange Gefallen finden?

Doch, was sollten wir tun. Der Dienst in der Ruhestellung war diesmal glücklicherweise beschränkt. Der ständige Aufenthalt in der frischen Waldluft tat uns gut. Aber der Mensch liebt nun einmal die Zerstreuung. Und so dauerte es auch gar nicht lange bis sich die kampferprobten Mauschelbrüder zusammenfanden.

Täglich von mittags 2 Uhr bis zum anderen Morgen 8 Uhr hockten wir beieinander. Bald häufte sich der insgesamt etwa 100 Mark betragende Spielumsatz vor dem einen, dann wieder vor dem anderen auf.

Würde das Glück nach dem ersten Spieltage jedem zu gleichen Teilen hold gewesen sein, hätte also niemand gewonnen und niemand verloren, so hätten wir aufhören können.

Aber es blieben zum Schluss immer wieder einige übrig, die im Stillen hofften, ihre Verluste bei der nächsten Runde oder am nächsten Tage aufholen zu können. Gelang es ihnen jedoch am 2. Oder 3. Tage wirklich, so konnte es nur auf Kosten derer geschehen, die bisher die glücklichen Gewinner und nunmehr in die Rolle der Verlierer gedrängt waren.

Diese wiederum bohrten schließlich solange, bis das Spiel von neuem begann.

Und es war natürlich, dass niemand etwas dagegen einzuwenden hatte, zumal ja jeder Gewinner nach aussen hin den Anschein erwecken möchte, als wenn es ihm zuwider sei, seinem Kameraden die paar Löhnungspfennige abzunehmen, als ob er es als seine Ehrenpflicht betrachte, dem andern Gelegenheit zu geben, sich im Spiel die verlorenen Groschen wiederzuholen.

In Wahrheit aber denken alle das Gleiche; “Hoffentlich kriege ich noch einen ordentlichen Batzen dabei” – obwohl es töricht ist, sich hier draußen an Geld zu hängen. Die Kantine – die einzige Lieferantin von Zusatz-Lebensmitteln – vermag uns ja doch nicht alle die Bedürfnisse und Genüsse zu verschaffen, die wir nun schon mehr als 3 Jahre entbehren müssen.

Das heißt: Manch einer sucht sich einen Ausgleich auf seine Weise.

Lebt da zum Beispiel in unserer Batterie ein Kanonier – halb Schlesier, halb Pole – der einen Narren am Hundefleisch gefressen hat. Überall wo er auftaucht, geht es den Kötern schlecht.

Dabei laufen ihm diese Tiere nach wie einstmals die Ratten und Mäuse dem Rattenfänger von Hameln. Er hat einen besonderen Kniff, sich an sie zu fesseln. In einem unbewachten Augenblick konnte ich ihn ablauschen, ohne dass ich aber Wert auf seine Weiterverwendung lege.

Sobald ihm ein Vierbeiniger in den Weg läuft, flötet er in den süßesten Tönen, zieht ihn förmlich mit seinen Blicken herbei, lässt unversehens einige mit dem eigenen Speichel getränkten Stücke Brot fallen – und schon geht der arme Tropf auf den Leim.

Er läuft in sein Unglück, selbst wenn ihn 10 Pferde zurückhielten. Wenige Stunden später aber liegt er in der Bratpfanne – nach Meinung des Kanoniers sogar zu seinem eigenen Vorteil, denn nun braucht er doch wenigstens nicht mehr so… zu frieren.

Uns tun die armen Viecher leid, wenn sie zur Schlachtbank müssen — dennoch hindern wir den Schächer nicht. Es liegt ein gewisser Trotz in dieser stillen Duldsamkeit. Meist dienen die Hunde ja doch nur dem Zeitvertreib und der Befriedigung der Langeweile unserer Herren.

Oft mögen auch ihre Bissen saftiger und größer sein als die unseren. Es wäre zu viel verlangt, dafür noch Verständnis aufzubringen, wenn man selbst knappen und kneifen muss.

Ob der Kamerad dabei mehr auf seine Kosten kommt als wir, ist uns gleich. Wir verzichten gerne zu seinen Gunsten auf diesen selbstverschafften Genuss. Es wird ihm trotzdem kaum zum Segen gereichen, da er schon jetzt am ganzen Körper mit Geschwüren aller Art bedeckt ist. Fehlt nur noch, dass er eines Tages auch zu bellen anfängt.

Nun sitze ich wieder draußen in der Feuerstellung und kann mich von den “Anstrengungen” der Ruhezeit erholen!

Bis vorgestern hatten wir noch kein feindliches Feuer erhalten. Gestern meldeten sich jedoch bereits einige leichte Kaliber an. Wir arbeiten darum mit Hochdruck an unserer Erdhöhle.

Schießaufträge gehen uns außerdem Tag und Nacht in Menge zu.

 

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 18.9.