Wir wünschten, es ginge wieder einmal vorwärts. Eiserne Portionen! Nochmals Vertretung des Feldwebels.
Nach dreiwöchigem Aufenthalt auf Beobachtung und zuletzt in der Feuerstellung kehre ich zur Sammelstelle zurück.
Vorn war es recht ruhig. Fast möchte man glauben, dem Frieden schon einen Schritt näher zu sein. Und doch wickeln sich bei den Franzosen wie bei uns Dinge ab, die auf eine baldige große Schlacht in der hiesigen Gegend hindeuten.
Man erwartet wieder einmal eine allgemeine große Offensive der Franzosen und hat sich dementsprechend gerüstet. Fast täglich gehen bei uns neue Batterien, besonders weittragende Flachfeuergeschütze, in Stellung. An allen Reservestellungen wird fieberhaft gearbeitet.
Nachdem die Verhandlungen mit Russland einen so günstigen Verlauf nehmen, wünschen wir jedoch alle, dass incht die Franzosen, sondern wir selbst hier im Westen einen ordentlichen Vorstoß unternehmen möchten, damit wir aus dieser Erdgebundenheit endlich einmal erlöst werden.
Unser Bataillon besteht seit einigen Tagen aus 3 Batterien.
Eine Ballonbeschießung am gestrigen Tage durch unsere Batterie hatte zur Folge, dass die feindliche “Luftzigarre” ihren Standort schleunigst verlassen musste. Der Ballon stand auf etwa 13km Entfernung.
Leider war kurz nach Beendigung des Schießens von drüben schon die Antwort da. Wir als Batteriebedienung legen deshalb auf eine Wiederholung dieses Kunstschießens keinen Wert.
Im übrigen gibt es nichts Neues zu berichten. Nur eine kleine an sich unbedeutende Begebenheit, die einer gewissen Komik nicht entbehrt, möchte ich noch kurz niederlegen. Sie behandelt das Kapitel “Eiserne Portionen”.
Für Nichteingeweihte diene zur Erläuterung, dass “eiserne Portionen” neben anderem kleinere Lebensmittelbestände umfassen, die im Notfalle die Verpflegung der kämpfenden Truppe für kurze Zeit sicherstellen sollen und deshalb in ruhigen Zeiten —meist schon aufgefuttert werden.
Man glaubt es einfach nicht, welche Anziehungskraft gerade diese Portionen besitzen. Sie können in eisernen Kisten, dreifach verschlossen und versiegelt, aufbewahrt, sie können mit aufgepflanztem Bajonett Tag und Nacht bewacht werden — eines Tages sind sie wiederum, und zwar zum so und sovielten Male, spurlos verschwunden.
So war es auch vor kurzem in der jetzigen Stellung.
Ich trug als Batterie-Offizier persönlich die Verantwortung dafür, dass alles in Ordnung blieb. Ich ordnete jede nur erdenkliche Sicherungsmaßnahme an, um meiner Aufgabe gerecht zu werden. Als ich trotzdem zu allem Überfluss eines Tages die Kiste aufschließen ließ, um mich von der vorgeschriebenen Zahl zu überzeugen – da traute ich meinen Augen nicht, nur noch rund die Hälfte der Sachen vorzufinden.
Ich dachte, mich lauste der Affe. Die Geschichte musste gemeldet werden. Ich sann über eine Begründung nach.
Das Märchen von dem “Volltreffer”, der die eisernen Portionen schon zum xten Male verschüttet hatte, war zu abgedroschen, als dass ich es noch einmal nach oben durchzugeben wagte. Dass ich obwohl ich an allem unschuldig war – einen reingeschüttet kriegen würde, war so klar wie dicke Tinte.
Was sollte ich tun? Schließlich sagte ich mir: “Wenn schon, denn schon”, nahm aus der Kiste noch weitere 5 Büchsen Gulasch heraus, machte uns im engen Kreise ebenfalls einen Festbraten und meldete dann pflichtgemäß statt 15 im ganzen 20 Büchsen als verschwunden.
Zwar blieb der Rüffel nicht aus – aber diesmal konnte ich ihn seelenruhig einstecken; er war er- und verdient.
Von morgen ab soll ich abermals die Vertretung des Feldwebels – diesmal für 3 Wochen – übernehmen.
Am meisten freue ich mich, dass ich dabei endlich wieder einmal in den Genuss einer ungestörten Nachtruhe kommen werde.
Das heißt, eine kleine Erleichterung habe ich mir in dieser Hinsicht bereits seit unserem Aufenthalt an der Somme verschafft, ganz gleich, ob ich nun vorn oder hinten war. “Ein Kopfkissen und zwei Bettlaken” bergen das Geheimnis in sich. Ich habe die Dinge bisher unentwegt mitgeschleppt und möchte sie nie mehr missen denn vorher schlief auf dem harten Lager wohl stets das linke oder rechte Ohr – selten aber ich selbst ein.
Der nächste Tagebucheintrag folgt am 3.1. – eine kleine Zwischenmeldung in eigener Sache folgt am Wochenende.