Curgies. Mein guter, alter Klepper!
Das Wetter für den vergangenen Nachtmarsch war etwas günstiger. Bei hellem Mondenschein verliessen wir – nachdem man uns zunächst 3 Stunden auf dem Biwakplatz hatte stehen lassen – um Mitternacht Bavay.
Ich hoffte, auf dem Rücken meiner “Rosinante”, die man mir in meiner Eigenschaft als Richtunteroffizier für die kommende Offensive gnädigst bewilligt hat, noch ein kleines Nickerchen zu halten. Doch meine löbliche Absicht ging gar bald in die Brüche.
Gegen Morgen wurde es empfindlich kühl. Steif wie ein Besenstiel rutschte ich von einem Bollen auf den andern. Kam noch hinzu, dass der Gaul – ein jüngeres Fräulein älteren Jahrganges – fortgesetzt der Aufmunterung bedurfte. Über jeden kleinen Stein des Anstosses stolperte er, und immer wieder wurde ich aus meiner Dusselei emporgerissen – gerade zur rechten Zeit, uns beide vor einem unsanften Fall zu bewahren.
Kurz und gut – nach kaum einer Stunde war ich diese Schaukelei leid. Ich vertauschte den Sattel mit den Schuhsohlen und nahm die Zügel in die Hand.
Der Gaul aber sagte nicht nein. Er schob selbstzufrieden seine Nasenlöcher an meinen Kopf heran — und als wir nun einträchtig nebeneinander hertrotteten, wurde es mir ganz wunderlich zu Mute. Meine Gedanken wanderten weit ab – zurück zu den Zeiten der Kreuzzüge. Ich kam mir vor, wie der Ritter in der Wüste:
“Fast musste der Reiter die Mähre tragen —!”
Die Schicksalsgemeinschaft des Krieges hatte uns beide innerhalb weniger Tage eng aneinander gekettet. Wandte ich mich um, dann schaute mir der alte Globetrotter treuherzig und hilfslos mit seinen großen Augen ins Gesicht, als wolle er die stumme Frage an mich richten: “Kamerad, wohin führt unser Weg; ist er nicht ebenso endlos wie dieser ganze Krieg?
Wann werde ich wieder Pflug und Egge durch die heimatliche Scholle ziehen? Wann wirst du wieder mit “Feder und mit Hirn” um dein tägliches Brot ringen?” —
Ich konnte ihm nur wehmütig zunicken: “Mein lieber, guter Freund – frage den Mond und frage die Sterne, vielleicht steht in ihnen unser Schicksal geschrieben. Ich weiß es nicht – und werde es nie ergründen. Doch, so lange uns noch die eiserne Pflicht hier im Feindesland festhält, trage Du den Kopf oben, so wie ich es _muss_!”
Keine Zweifel, er hatte mich verstanden.
Und müde – still und ergeben zogen wir unsere Straße weiter.
Noch manche andere Frage wurde in dieser geheimnisvollen Mondesnacht wach:
“Werde ich, wirst du den Weg zur Heimat zurückfinden? Wann aber doch – werden wir beide uns je wieder einwurzeln? Sind wir nicht in diesen 4 langen Jahren allem Heimatlichen längst entfremdet? Werden wir überhaupt noch jemanden finden, der unsere Kriegsgebräuche und Unsitten, unsere auf Mord und Zerstörung eingestellten Gedanken und Anschauungen verstehen – billigen – und uns verzeihen wird?”
Um 5 Uhr morgens endlich standen unsere Gedanken – und Beine still. Wir hatten mittlerweile unser Tagesziel erreicht und bezogen nun Quartier in Curgies – unweit Valenciennes.
Jetzt sitze ich bei meinen Wirtsleuten, um für die kommende Nacht, die uns in die Nähe von Cambrai bringen soll, einzuheizen.
Der nächste Tagebucheintrag folgt am 3.3.