Ein nächtlicher “Gasangriff” hinter der Front. “Int Schipperhus.”
Wir liegen noch immer in Neuville.
Trotzdem scheinen wir nicht mehr weit vom Schuss zu sein, da die zum Bataillon gehörigen Munitions-Kolonnen bereits Munition in die Stellungen fahren müssen. Außerdem ist auch der Bataillonsstab weiter an den Feind herangerückt und hat sein Quartier in Cambrai aufgeschlagen.
Aus unserem eigenen untätigen Verhalten schließe ich, dass wir unsere Geschütze erst unmittelbar vor Beginn der Offensive in Stellung bringen werden. Uns soll es recht sein, denn in unserem Unterkunftsort gibt es Abwechselung genug.
Langeweile kennen wir kaum. Wir haben täglich Platzkonzert, ausgeführt von einem Garde-Infanterie-Regiment. Auf der Straße rollen unablässig neue Bilder an unseren Augen vorüber. Es ist wie in einem großen “Kinpott”.
Die Unterkunftsverhältnisse sind in diesem Ort allerdings beeengt, da er mit Truppen übervoll belegt ist. So müssen auch wir uns zu 14 Mann mit einem einzigen kleinen Zimmer begnügen, das unter gewöhnlichen Umständen Raum für höchstens 3 Personen bietet.
2 Reihen “betten” übereinander für je 7 Personen, 1 Tisch, 2 Stühle und einige Bettkanten zum Sitzen verkörpern die ganze Einrichtung.
Mehr als futtern und schlafen kann man in diesem Kabüffken natürlich nicht. Und selbst mit dem Schlafen ist es angesichts der wiederholten nächtlichen “Gasangriffe” nicht allzuweit her.
Vergangene Nacht aber war es ganz besonders schlimm.
Wir mochten wohl 2 Stunden geruht haben, als plötzlich die schnarchende Stille durch ein lautes Kommando unterbrochen wurde.
Einer der Geschützführer befand sich träumerischerweise im schärfsten Feuergefcht. Ganz unvermittelt rief er mit dröhnender Stimme: “Das 1. ans Geschütz – Feuer!” — Rums – bautz- eine furchtbare Erschütterung ging durch den Raum. Sein Nachbar zur Linken war sogleich bei der Sache. Er führte den Befehl afu die Sekunde aus und “schoss” — dass alles aus dem Schlafe hochschreckte und — die Fenster eine Stunde lang geöffnet werden mussten.
Es dauerte lange, bis unser Zwerchfell in die alte Ruhelage zurückfiel.
Der Feuerüberfall hatte aber nebenbei noch sein Gutes. Es war sowieso die höchste Zeit, Stellungswechsel von links und rechts vorzunehmen, wenn wir nicht Gefahr laufen wollten, am nächsten Morgen wie eine Honigwabe herumzusausen. Das Drahtgeflecht unseres Nachtlagers hatte nämlich bereits so tiefgehende Eindrücke auf unserer unteren linken Gesichtshälfte hinterlassen, ,dass ein Ausgleich auf der rechten nicht schaden konnte.
Doch dies nur nebenbei!
Auch am Tage gibt es mal eine Extravaganz. Vorgestern z.B. War “Int Schipperhus”, einer französischen Wirtschaft am Kanal, Schwoof. Den musikalischen Teil bestritt ein Orchestrion, zu dessen geräuschvollen Weisen sich ständig 12 Paare im Tanz drehten.
Etwa 100 Kameraden schauten dem tollen Wirbel und den teils recht zweifelhaften männlichen und weiblichen Gestalten zu.
Es herrschte der reinste Jahrmarktbetrieb und ein Gedränge, dass man kaum ein Bein auf die Erde bekam. Dennoch fühlten wir uns in dieser abenteuerlichen und mit Tabaksqualm geschwängerten Luft wohl, denn das Vergnügen mochte nun so primitiv sein wie es wollte – jedenfalls fanden wir dabei Gelegenheit, den Krieg wieder einmal für eine kurze Spanne Zeit zu vergessen.
Der nächste Tagebucheintrag folgt am 14.3.