1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

17.3.1918 Es hätte schlimm werden können.

/ / Nochmals nach dem Norden (Cambrai) 20.1.18-26.3.18

17 Stunden auf den Beinen. Das Einfahren der Geschütze bei Inchy. Es hätte schlimm werden können. In letzter Minute aus dem Dreck. Quartier in Cambrai.

Sonntag. 12 Uhr mittags.

Nachdem ich seit gestern Abend 7 Uhr volle 17 Stunden auf den Beinen war, kehre ich jetzt von unserer Stellung zurück.

Wir haben über Nacht unsere Geschütze nach vorn geschafft, aber erst beim Morgengrauen nach Überwindung mancher Hindernisse bis nahe zur Feuerstellung bringen können. Was hinter uns liegt, werde ich so leicht nicht vergessen.

Sofort beim Einziehen der Rohre auf freiem Felde versanken die Kanonen bis zur Achse in den weichen Boden. 3 Stunden brauchten wir, um sie wieder auf die Straße zurückzubringen.

Auf dem Weitermarsch über die Kanalbrücke bei Inchy aber geschah das Hauptunglück.

Die Brücke bietet die einzige Möglichkeit, in diesem Abschnitt zur Front zu gelangen. Das wissen die Engländer nur zu genau.

Am Tage darf sich deshalb kein Schwanz in ihrer Nähe sehen lassen, oder er macht Bekanntschaft mit ein paar feindlichen Granaten oder Schrapnells. Und während der Nacht ist es ganz selbstverständlich, dass die gesamte Gegend um diesen wichtigen Punkt dauernd unter Streufeuer gehalten wird.

Wollten wir dieses Hindernis überwinden, so blieb uns nur übrig, eine ruhige Minute abzuwarten und dann im Galopp über die Brücke zu jagen.

Gesagt – getan. Der günstige Augenblick kam.

Das 1. Geschütz nahm Anlauf und polterte, so schnell dies bei 8 Pferden und einem Gewicht von rund 130 Zentnern überhaupt möglich war, los.

Dunkle Nacht ringsum. Wir konnten vom Weg nichts sehen – wir spürten ihn nur mit den Füßen und verließen uns im übrigen auf das Tastgefühl unserer Gäule, die in dieser Hinsicht selbst in der schwärzesten Finsternis Unmögliches möglich machen.

Aber gegen einen Granattrichter konnten auch sie nicht an. Kurz hinter der Brücke gab es plötzlich einen Ruck. Das Geschütz war rechts zur Böschung hinuntergerutscht – und stand fest.

Indem wir noch darüber nachgrübelten, wie wir wohl aus dieser Patsche herauskommen würden, rückte auch schon das 2. Geschütz im Galopp  an.

Es war uns unmöglich, der Bedienung und den Führern ein Zeichen zu geben. Wir sahen kaum die eigene Hand vor unseren Augen. Das Geklapper der Räder und Pferde aber übertönte jedes Kommando. So konnten wir nur untätig abwarten, wie sich das Verhängnis unerbittlich vollzog.

Jetzt waren die ersten Pferde bei uns. Ich sagte ja schon, ihr Tastgefühl grenzt ans Übernatürliche. Im Nu hatten sie die Situation erkannt, sprangen nach links, in der allgemeinen Verwirrung aber zu weit — und saßen mitsamt dem Geschütz in einem Granatloch auf der anderen Seite der Straße ebenfalls fest.

Zu allem Überfluss kam im gleichen Augenblick von der entgegengesetzten Richtung eine Munitionskolonne, während rechts vor uns ein bereits steckengebliebenes Geschütz der 2. Batterie den Weg vollkommen versperrte.

Inzwischen war die Ruhepause der Engländer beendet. Sie begannen wieder planmäßig das Gelände abzustreuen.

Mehr als einmal mussten wir uns ducken. Haarscharf pfiffen die Splitter zwischen unseren Reihen hindurch – und keiner von uns hatte mehr Hoffnung, auf diesem Brassel jemals herauszukommen.

Aber, auch heute geschehen noch Zeichen und Wunder. Nach vieler Müh gelang es uns wider Erwarten, diesen Knäuel von Menschen, Pferden und fahrzeugen zu entwirren.

Zuerst mussten sämtliche Pferde fort. Mit ihnen konnten wir jetzt nichts anfangen. Hundert Kanonierfäuste schafften mehr als 20 Gäule.

Ruck um Ruck wanden wir ein Geschütz nach dem anderen aus den Löchern. Die Hände zitterten vor Anstrengung, der Atem flog, der Schweiß rann in Strömen. Es musste geschafft werden, bevor noch der Tag graute und die ersten Erkundungsflieger auftauchten.

Und es wurde geschafft, keine Minute zu früh und keine zu spät.

Jetzt stehen die Geschütze am Schloss von Inchy. Sie dürfen noch nicht in die auf freiem Felde liegende Stellung eingefahren werden, da dem Feinde bis zum letzten Augenblick unsere Absichten verborgen bleiben müssen. Ebenso darf erst am Tage der Offensive selbst der erste Schuss abgegeben werden.

Dass wir alle heil zurückkamen ist mehr als Glück.

Das Gleiche gilt auch von unseren Pferden, denn von ihnen gehen in dieser windigen Ecke genug zum Teufel. Wo aber eins fällt, da stürzen sich im Handumdrehen – als hätten sie nur darauf gewartet – gleich zwanzig und mehr Leute auf den noch zuckenden und dampfenden Kadaver.

Bei der großen Nachfrage nach einem saftigen Braten und den vielen hungrigen Mägen genügen jetzt schon wenige Minuten, um einen eben noch lustig wiehernden Gaul in ein leeres Knochengerüst mit ein paar Eingeweiden zu verwandeln. Dabei muss man nur über das Talent staunen, mit dem ein jeder sofort die besten Stücke erkennt und mit sachkundiger Hand heraustrennt.

Es ist eine seltsame Logik der zweibeinigen Kreatur, dass sie die vierbeinige zum Dank für ihre treuen Dienste mit Haut und Haaren verspeist, noch ehe sie kalt geworden ist.

Unsere Unterkunft ist während unserer Abwesenheit nach Cambrai-Nord verlegt worden. In einer großen Fabrik sind wir mit schätzungsweise 10000 Mann und vielen 100 Pferden untergebracht.

In der Stadt wimmelt es von Militär aller Art. Man spricht davon, dass hier zurzeit weit über 100000 Mann zum Sturm bereit stehen. Besonders stark ist auch Artillerie vertreten. Allein in der Nähe unserer Stellung sind 30 schwere Batterien vereint.

Die Vorbereitungen zur Offensive haben ihren Höhepunkt erreicht – und wir sind guten Muts.

 

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 20.3.