Doch uns traf der Schlag. Man fragte, ob ein verwundeter Offizier vorhanden sei — nein, so weit hatte es trotz mehr als vierjähriger Kriegstätigkeit anscheinend niemand von uns gebracht.
Oder sollte dennoch einer von ihnen auf den unzähligen Bahren liegen, der das Beschämende dieser Frage ebenso deutlich fühlte wie wir und lieber mit uns unerkannt weiter ausharren wollte?
Eine unpassendere Gelegenheit für eine solche Unterscheidung zwischen Hoch und Niedrig hätte ich mir jedenfalls kaum denken können.
Doch, was halfen auch diese Betrachtungen, was half der Jammer der um mich Liegenden und der eigene? Der Führer des Sanitätsautos und sein Begleiter störten sich nicht daran, machten kehrt und überließen uns unserem Schicksal.
Die Sonne zog unentwegt ihre Bahn. Schon war es Mittag. Wieder kam ein Krankenwagen. Wieder durften vier von uns abwandern.
Man brauchte kein Rechenkünstler zu sein, um festzustellen, wann unter solchen Umständen der Letzte von uns von seinen Qualen erlöst sein würde.
Indessen mehrte sich die Zahl der Verwundeten noch Stück um Stück – und die der Schwerverwundeten nicht minder.
Die eigenen Schmerzen wurden unerträglich. Ich griff schließlich zu einem Verzweiflungsmittel. Als um 5 Uhr nachmittags der vierte oder fünfte Wagen da war, biss ich nicht mehr die Zähne aufeinander, sondern heulte wie die anderen – heulte wie ein Kind. Das half!
Endlich war ich in dem Sanitätswagen – und sollte doch im gleichen Augenblick wieder heraus, weil wiederum ein anderer für schwerer verwundet gehalten wurde als ich. Ich nahm meine letzte Kraft zusammen und klammerte mich mit der linken Hand an dem Deckenbalken des Wagens fest. Nein, noch einmal zurück, das war zuviel.
Und nun ging die Höllenfahrt los. Auf den ausgefahrenen und mit Granatlöchern übersäten Wegen schaukelten wir bergauf und bergab. Jede leichte Erschütterung teilte sich unvermittelt der Wunde mit – bei jeder schwereren hörte ich die Engel singen.
Eine Viertelstunde später wurde ich schon wieder ausgeladen und in Marquion an einer Straßenkreuzung in eine Feldscheune gelegt. Ein mitleidiger Sanitäter schnitt mir den Stiefel von dem zerschossenen Bein. Mehr konnte er für mich nicht tun.
Erst um 6 Uhr abends holte mich mit anderen ein Sanitätsauto ab, das uns nunmehr in ununterbrochener Fahrt (über Raillencourt) bis nach Bouchain brachte. Hier wurde ich nachts 1 Uhr – also 19 Stunden nach meiner Verwundung – endlich in das Reserve-Feldlazarett 63 eingeliefert, sofort operiert und frisch verbunden.
Ich muss es mir versagen, in Worten auszudrücken, welche Pein sowohl die Autofahrt mir und meinen Kameraden, von denen – nebenbei bemerkt – einer eine schwere Rückenmarkverletztung erhalten hatte, als auch die Operation meiner Wunden – teils ohne und teils mit Narkose – bereitet hatte. Würde man vorher wissen, was der Mensch aushalten muss (auch ohne es zu müssen), man könnte sich getrost eine Kugel in den Kopf jagen.
Der nächste Tagebucheintrag folgt am 26.3.