Feindliche Angriffe auf unseren Fesselballon mit Schrapnells und Flieger-Brandbomben. Hinter der Front: Infanterie-Ersatz beim “Grußüben”
Wir haben wolkenlosen Himmel. In der Nacht war es empfindlich kühl. Jetzt tauen uns die Sonnenstrahlen langsam wieder auf. Ein paar Becher heißer Kaffee aus der Feldküche tun ihr übriges. Morgenkost: Brot mit Zucker.
Wollen wir mal sehen, ob sonst noch etwas aufzutreiben ist. In der Feuerstellung vorn liegen wir ja doch fest. Alle Augenblicke pfeift und kracht es uns links und rechts um die Ohren, und es ist nur gut, dass wir uns wenigstens in den ausgehobenen Laufgräben etwas ducken können.
Kommt die Feldküche, so müssen wir uns förmlich hinausstehlen, nur um ein paar Bissen für unseren Magen zu erhaschen. Die Verrichtung des “entgegengesetzten” Geschäftes leidet unter den gleichen Schwierigkeiten. Von den obligatorischen “5 Minuten” können wir nur selten Gebrauch machen.
Erst am Abend wird es etwas ruhiger. Um diese Zeit findet dann überall Munitionsersatz und Ablösung statt.
Doch heute haben wir hier hinten mit diesen Dingen glücklicherweise nichts zu tun. Wir betrachten den Krieg mit den Augen des Generalstabes, der seine Truppen auf der Karte hin- und herschiebt.
Diese Art der Kriegsführung würde selbst uns auf die Dauer besser bekommen. Sie ist wie ein Geschäft, ein Beruf – erfordert zwar äußerste Kraftentfaltung und Verantwortung, lenkt aber nicht bei jedem Handschlg, der getan wird, die Zerstörungswut des Feindes auf den Urheber selbst.
Schon der Aufenthalt in der Sammelstelle ist grundverschieden von der unmittelbaren Fronttätigkeit. Wir sind so gut wie außer Gefahr! Dieser Gedanke beherrscht uns bei allem, was wir beginnen. Und wenn wir wirklich vom Kriege noch etwas sehen und hören, so bleibt es für uns nur ein Schauspiel — oder, wenn es hoch kommt, ein interessanter Nervenkitzel.
Zum Beispiel: Der Fesselballon, mit dessen Hilfe wir gestern eine feindliche Batterie ausräuchern konnten, und der schon seit 8 Uhr morgens wieder am Himmel steht, ist den Franzosen ein Dorn im Auge. Sie versuchen, ihn mit Schrapnells niederzuzwingen. Binnen kurzem hängen hunderte grauer und weißer Wölkchen im Blau. Die Schüsse liegen jedoch 1000m zu kurz und bleiben ohne Wirkung.
Später kommen zahlreiche Flieger, die mit Brandbomben ans Werk gehen. Auch sie haben kein Glück. Im Gegenteil, vor unseren Flugzeugabwehrkanonen müssen sie bald Reissaus nehmen.
Nach dieser Ablenkung wenden wir uns wieder anderen Dingen zu:
In der Sammelstelle gibt es Löhnung für 3 zurückliegende Dekaden. Zwar keine Dukaten; aber angesichts der geringen Möglichkeiten zum Ausgeben immerhin noch genug. Könnten wir das Geld in Tabak, Schokolade oder auch für Zeitungen anlegen, dann wäre uns geholfen. Leider sind solche Kostbarkeiten im Augenblick aber rein gar nicht aufzutreiben.
Der Tabak wurde, soviel ich hörte, bei Ausbruch des Krieges von den französischen Truppen beschlagnahmt. Und nach und nach wird das Land auch in anderen Dingen immer mehr asugesogen. Da ist es nur gut, dass der Verpflegungsnachschub aus der Heimat nun langsam in geregelte Bahnen kommt; sonst würden wir bald arm dran sein.
2 Uhr gibt es Mittagessen. Unsere Feldküche kocht wirklich vorzüglich. Sie nimmt uns durch die regelmäßige Zubereitung unserer Hauptmahlzeiten viel Einzelarbeit und Sorge ab. Die Extravaganzen, die wir uns ab und zu durch ein Stück selbst zubereiteten Braten leisten, bleiben trotzdem willkommen und bilden noch immer eine angenehme Bereicherung unseres täglichen Speisezettels. Mitunter entstehen sie aber auch ohne jedes Bedürfnis und nur aus dem Wunsche heraus, die Herrlichkeiten des Daseins wenigstens solange zu genießen, als uns ein gütiges Geschick noch Gelegenheit hierzu gibt.
Viertel nach 4 Uhr nachmittags: Unsere Batterie hat nach der sogeben eintreffenden Meldung starkes Feuer erhalten. Beim 2. Geschütz gab es einen Volltreffer in die Brustwehr – glücklicherweise ohne Verluste.
5 Uhr nachmittags: Während wir uns von der Sonne bescheinen lassen und in den Tag hineindusseln, plagt sich ganz in der Nähe unserer Sammelstelle eine Kompagnie Jäger, um hier auf französischem Boden ihren letzten “Schliff” zu erhalten. Sie übt fleißig Schützengefechte, Einzelmarsch und “Grüßen”.
Das letztere halte ich für Humbug, den man sich angesichts des in allen Ecken lauernden Todes sparen sollte. — Oder glaubt man wirklich, dass es darauf ankommt, vielleicht schon in wenigen Stunden in “strammer Haltung” die eine Hand “rechtwinklig” an der Kopfbedeckung, die andere an der Hossennaht in das Tal des Todes einzumarschieren? — Die feindlichen Granaten, Kugeln und Bajonette sind nicht so wählerisch und fragen wenig darnach, ob alle Paragraphen des Exerzierregiments beachtet werden.
Der nächste Tagebucheintrag folgt am 25.9.