Teilangriffe der Franzosen. Gewitter. Gegenseitige Beschießung der Ruhelager. Letzte Erinnerung an den Urlaub.
Das Verfügungsrecht über unsere Munition ist recht beschränkt. Die Tagesrate beläuft sich jetzt nur auf 3 Schuss je Geschütz. Im falle eines feindlichen Angriffes dagegen haben wir freie Hand.
Nachmittags 6 Uhr setzt plötzlich ein furchtbares Gewitter und — zu gleicher Zeit ein breit angelegter französischer Angriff auf der Linie Le Mesnil – Beau séjour ein. Er kommt jedoch gar nicht erst zur Entfaltung, da von uns sofort Maschinengewehre und Geschütze eingreifen und der viertelstündige Sturzregen alles unter Wasser setzt.
Der Donner des Gewitters, vermischt mit dem Krachen der Geschütze und Minenwerfer, das Bersten der Granaten und Schrapnells und das unaufhörliche Geknatter des Infanteriefeuers schaffen eine Stimmung, wie ich sie in ähnlicher Lage noch nicht erlebte. Selbst der Stärkste kann dabei kleinmütig werden. Und ich atme erst auf, als alles wieder vorüber ist.
Dann aber ergreife ich beim traulichen Kerzenschein die Feder, um noch einmal meinen Dank an die Heimat in wenigen Worten zusammen zu fassen. Der Brief, den ich heute, nach mehr als 18 Jahren, aus Mutters wohlbehüteter Sammlung herausgreife, mag dem Leser vermitteln, wie es mir damals ums Herz war:
In der Champagne, den 10.6.1915.
Meine Lieben!
Unbeschadet und in froher, unverzagter Stimmung bin ich gestern mittag wieder in unserem Batterielager eingetroffen. Dies Euch vor allem anderen zur Beruhigung.
Natürlich weilen meine Gedanken noch in den heimatlichen Gefilden, bei all den lieben Freunden und Bekannten, besonders aber bei Euch. Zum unerschöpflichen Quell des Trostes und der Hoffnung sind mir die wenigen Tage geworden, die ich bei Euch verbringen durfte.
Kann man in dieser schweren Zeit Herrlicheres erleben, als – dem Tode schon halb verschrieben – nach 9 langen Monaten seine Lieben wiederzusehen?
Die Pflege der besorgten Mutter, schwesterliche und brüderliche Teilnahme und die vielen Beweise inniger Freundschaft aller, die mich kennen, haben die Sorgen, Anstrengungen und Entbehrungen dieses Krieges vergessen lassen. Sie gaben mir auch die Kraft zu weiteren Opfern für das Vaterland. Wollen wir nicht engherzig sein und die persönlichen Interessen hinter die der großen gemeinsamen Sache unseres Deutschtums setzen, dann, liebe Mutter und Ihr anderen, wird uns die Trennung wohl für den Augenblick, aber nicht für immer etwas Schweres bleiben.
Freudig bin ich wieder zu meinen Kameraden zurückgekehrt.
Unvergesslich bleiben die schönen Tage in der Heimat und zuversichtlich sehe ich einem baldigen dauernden Wiedersehen entgegen. Euch meinen Lieben jedoch innigen, herzlichen und ewigen Dank für alles, was Ihr mir in dieser kurzen Spanne Zeit erwiesen habt.
Auch in Witten war die Aufnahme überaus herzlich. Freunde, Kollegen und Vorgesetzte brachten mir eine wahrhaft rührende Teilnahme entgegen. So war es erklärlich, dass das Wiedersehen eigentlich nur aus einer 8stündigen Gastrede meinerseits bestand. Was aber äußerst wertvoll für mich ist, das ist die feste Gewissheit, dass – wenn ich wieder zurückkommen sollte – meine Zukunft in Witten als gesichert gelten kann.
Empfangt nochmals innigsten Dank und für heute die herzlichsten Grüße
von eurem Ernst.
Der nächste Tagebucheintrag erscheint am 18.6. – bis dahin werden jedoch einige Fotos aus der Zeit in der Champagne veröffentlicht werden.