Unternehmen “Zähringen” – ein voller Erfolg. Erneuter Papierkrieg. Zwei Sonderkapitel: “Verpflegung” und “Reklamation”. Der Krieg sorgt auch für Humor. Doch, wer wirklich im Dreck saß, hält den Schnabel. Nach dem Kriege – Krieg dem Kriege.
Das von uns am 29.7. veranstaltete Unternehmen “Zähringen” hat vollen Erfolg gebracht.
Die feindlichen Stellungen wurden auf 2km Breite und 700m Tiefe genommen. Dabei fielen 500 Gefangene in unsere Hand. Die Franzosen antworteten noch am gleichen Abend mit einem Gegenangriff; erreichten jedoch nichts.
Seitdem wurden weitere vergebliche Gegenangriffe unternommen. Jetzt ist es wieder ruhig und man scheint sich mit dem Verlust des Geländes abzufinden.
Kein Wunder, dass sich schon wieder der Papierkrieg meldet.
Es ist nicht zu glauben, um was man sich alles kümmert. Da werden ellenlange Befehle erlassen über das Sammeln von alten Knochen, Kaffeegrund, Kisten, Blechbüchsen, alten Lumpen usw., da wird dieses und jenes verboten — aber nicht verboten wird das Hungern und nicht verboten das Liegen unter wasserundichten Zeltbahnen im Freien, wie es zurzeit noch bei etwa 30 Mannschaften unserer Batterie der Fall ist.
Freilich, unsere Kommandostellen werden von solchen Verhältnissen wohl nur wenig spüren. Ihre Unterkünfte sind 10mal besser als die unseren. Und ebenso wenig zu vergleichen ist “ihre” Verpflegung — wird ihnen doch nach der Kriegsverpflegungsvorschrift das “Fassen” der Lebensmittel ohne Angabe einer Kopfstärke gestattet.
Man sollte nur einmal die Küchen aller Stäbe – auch die der geringeren – unparteiisch revidieren lassen. Man würde starr werden vor Staunen, wie sich die den “Mannschaften” zugesprochenen 1/3 Brot- und Marmelade – sowie Affenfett-Gramm-Portionen in Kartoffeln, Braten, Gemüse, Wurst, Schinken und sonstwas zu verwandeln vermögen.
Wir aber gehen mit dieser Moral unaufhaltsam unserem Schicksal entgegen. Sie drückt auch allen anderen Dingen ihren Stempel auf.
Da ist z.B. Das leidige Kapitel “Reklamation”, das gerade in letzter Zeit recht eigenartige Formen angenommen hat.
Manch einer von uns fuhr in Urlaub – und ward nicht mehr gesehen. Die plötzliche Erkenntnis, dass er in der Heimat zum Bergmann, Fabrikleiter, Munitionsarbeiter oder Landwirt besonders geeignet sei, wurde Grund zur Reklamation und fand ein williges Ohr.
Solche Beispiele machen natürlich Schule und ich selbst muss bekennen, dass auch in mir über Nacht das Verlangen nach der Heimat und die Verzweiflung so stark wurden, dass ich die einzige Rettung noch in einem Reklamationsgesuch sah.
Der Antrag ist inzwischen abgelehnt worden.
“Solange ich noch der “k.v.” sei, wäre an eine Rücknahme aus der Front nicht zu denken!” Mit anderen Worten also: “Solange ich nicht mit meinem eigenen Kopf unterm Arme anrücke, bleibe ich zum Frontdienst verdammt!” Und so geht es tausenden meiner Kameraden.
Es ist überhaupt so grundverschieden, wie dieser Krieg von den einzelnen Teilnehmern erlebt und aufgefasst wird.
Vor einigen Tagen wurde z.B. Einem Kanonier Geld gestohlen. Der Verdacht fiel auf einen Kameraden, der bereits einige kleinere Diebereien auf dem Kerbholz hatte. Trotz strengster Untersuchung war ihm jedoch diesmal nichts nachzuweisen.
Schließlich wollte man aus seinem Briefverkehr mit der Heimat einen Anhaltspunkt finden. Aber auch das blieb ohne Erfolg.
Dafür besorgte mir ein Brief an seine Eltern einen so köstlichen Spaß, dass ich eine Indiskretion wage. Er hatte folgenden Wortlaut:
“Liebe Eltern! — Jetzt gerade setzt hier ein Trommelfeuer ein, wie noch selten. Nur die Ruhe nicht verlieren! Alles geht drunter und drüber!
Nochmals Gruss!
H…”
Das war aber nicht etwa das Erlebnis eines stürmenden, mit Gewehr, Handgranaten, Gasmaske, Stahlhelm und Sturmgepäck bewaffneten Kriegers, sondern nur das eines Offiziersburschen weit hinter der Front (man könnte auch ruhig sagen: das eines Kriegsberichterstatters), der gemütlich die Pfeife im Munde, auf einer kleinen Anhöhe gestanden und dem Rollen des Trommelfeuers etwa 12km vorwärts gelauscht hatte, schwach einige Leuchtkugeln steigen oder – wenn es hoch kam – vielleicht auch einige Schrapnells aufblitzen sah.
Ich halte diese kleine Episode fest, weil ich mir denken kann, dass es später mit den Kriegserlebnissen mancher “Etappenhengste” ähnlich aussehen wird. Je lauter sie reden, desto weiter waren sie vom Schuss ab.
Wer aber wirklich im Dreck saß, hält den Schnabel.
Trotzdem ist es gut, wenn man dies und jenes aufzeichnet.
Der Mensch neigt ja Gottseidank so leicht zum Vergessen des Schweren. Auf dieser These aber aufbauend, wird es nach Jahren genug geben, die sogar den Krieg als ein herrliches Erlebnis, als eine wunderbare Begebenheit preisen werden, die jederzeit wert sei, wiederholt zu werden.
Sollte mich jedoch ein gütiges Geschick vor dem Schlimmsten bewahren und mir einst die Heimat wieder schenken, so wird es für mich stets nur die eine Losung geben: “Nach dem Kriege – Krieg dem Kriege”
Der nächste Tagebucheintrag folgt am 9.8.