Ein Nachtbesuch im Schützengraben.
Die feindliche Artillerie ist recht lebhaft. Wir schießen nicht.
7 Uhr abends gehe ich mit 2 weiteren Kameraden zur Beobachtung, um den schon längst gehegten Plan, unsere Schützengräben aufzusuchen, endlich in die Tat umzusetzen. Der Weg führt über unser vorgezogenes Geschütz nach dem linken Flügel des XIX. Armeekorps (12. Kompanie in Reserve 179)
Unterwegs begegnen wir einem Trupp Feldartilleristen, die ein Geschütz aus ihrer Stellung herausgezogen haben, weil das zweite zu diesem Zug gehörige Geschütz heute nachmittag durch die Engländer in Klumpen geschossen worden ist. Wir besehen uns den Schaden und stellen fest, dass 2 Volltreffer die Scheune, in der das Geschütz gestanden hatte, völlig zertrümmert haben. Menschenleben sind dabei glücklicherweise nicht zu beklagen gewesen.
Von der Feldartilleriestellung aus verfolgen wir den Weg weiter, der in einer Entfernung von etwa 800 bis 100m hinter den Schützengräben entlang läuft und auf dem sich trotz der gefährlichen Nähe des Feindes nach Einbruch der Dunkelheit und während der ganzen Nacht bis zum Morgengrauen ein Riesenverkehr mit Wagen, Pferden und Menschen entwickelt.
Dann biegen wir links ein und stehen plötzlich, eh wir’s uns versehen, unmittelbar vor – oder vielmehr hinter – unseren Gräben.
Der Feind ist im Augenblick ruhig. Kein Gewehrschuss fällt, weshalb wir ohne Deckung über den hinteren Rand des Grabens in diesen einsteigen können.
Natürlich ist man bei der Infanterie erstaunt ob dieses unerwarteten Besuches; aber überall können wir eine freudige Genugtuung wahrnehmen darüber, dass die “schwere Artillerie”, die doch sonst immer so weit hinter der Front steht, sich wirklich einmal nach vorn verlaufen hat.
Der Empfang ist deshalb ungezwungen herzlich, besonders, nachdem entdeckt wird, dass ich Landsmann und sogar in der Garnisonstadt des Regimentes Leisnig in Sachsen beheimatet bin.
Alles wird uns bereitwilligst gezeigt: Schiessscharten, Unterstände, Maschinengewehrstellungen, Patronen- und Handgranatenläger. Wir kommen aus dem Staunen gar nicht heraus. Wieviel Sorgfalt und Mühe musste aufgewendet werden, um so vorzüglich ausgebaute Schützengräben herzustellen.
Die Stellung der Sachsen ist geradezu ein Musterwerk. Die Gräben sind hier, ganz gegen die sonst übliche Bauart – über der Erde errichtet, überall mit Brettern ausgelegt und verschalt. Statt der Bretter sind hier und da auch Weidengeflechte benutzt worden. Die äußerst sumpfige Gegend, bei der bereits auf den ersten Spatenstich Grundwasser erscheint, zwingt zu dieser Bauweise.
Dem äußeren guten Bilde passt sich ganz die Stimmung der Bewohner an. Trübe Gedanken scheinen hier nicht aufzukommen. Witz und Scherz begegnen sich in diesen engen Gassen beinahe als Selbstverständlichkeit.
Heute ist trotz der Ruhe alles auf dem Posten und hält Ausschau nach dem Feinde, der hier auf etwa 2-300m gegenüberliegt. In den letzten Tagen sind nämlich drüben bedeutende Truppenverstärkungen beobachtet worden (man spricht von einer ganzen Brigade), so dass allgemein ein Angriff auf der Linie La Bassée – Armentières erwartet wird.
Aber, sie mögen nur kommen. Seitdem ich diese großartigen Befestigungen gesehen habe, werde ich meine Stiefel selbst beim tollsten Infanteriefeuer nicht eher anziehen, als höherer Befehl dazu vorliegt.
Ein Durchkommen des Feindes scheint beinahe ausgeschlossen, denn unter anderem sind die Maschinengewehre so eingebaut, dass sich ihr Feuer gegenseitig kreuzen und alles, was in den Weg kommt, vernichten kann.
Dazu kommen prächtige Drahthindernisse in einer Breite von etwa 6m und in verschiedenen Höhen, die tiefen Gräben vor der Brüstung und die mancherlei Schein-Schützengräben mit besonderen Drahthindernissen (Fußangeln usw.)
Nicht zu vergessen das Gewehrfeuer unserer Infanteristen selbst, dem wir im Bedarfsfalle mit unseren Granaten und Schrapnells gute Hilfsstellung leisten.
Nach zweistündigem Aufenthalt scheiden wir von den Sachsen und ziehen zu den angrenzenden 55ern hinüber. Auch diese haben tadellose Stellungen, doch müssen sie noch hier und da ausgebaut und verbessert werden.
Ihre Drahthindernisse dagegen sind ausgezeichnet. Wir gehen mit vor die Deckung und überzeugen uns selbst davon.
Die Aufnahme bei den 55ern ist ebenso herzlich wie bei den Sachsen.
Ein Unteroffizier bringt uns bis zu den Pionieren, bei denen wir einen Minenwerfer beschauen können. Übrigens ein ganz primitives Ding – jedoch mit umso größerer Wirkung.
In dem kugelsicheren Laufgraben über Erde verlassen wir gegen halb 11 Uhr abends die Gräben und marschieren über Radinghem – einem durch englisches Granatfeuer stark verwüsteten Dorfe – nach unserer Beobachtung zurück.
12 Uhr nachts sind wir wieder in Bas Flandre. Unsere Batterie gibt eben 2 Beunruhigungsschüsse nach dem Feinde ab. Ich verschwinde mit einer wohligen Müdigkeit in den Gliedern sofort ins Bett.
Der Besuch der Schützengräben hat mich voll befriedigt.
Der nächste Tagebucheintrag folgt am 3.3.