1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

25.6.1915 Harte Kriegsjustiz

/ / In der Champagne 27.3.15 – 30.6.15

Am Abend kommt Divisionsbefehl, dass in Manre nach dem Spruch des Kriegsgerichtes ein Angehöriger des Infanterie-Regimentes 39 erschossen worden ist, weil er bewusst als Posten im Schützengraben zwei seiner Kameraden – Elsässer – zum Feinde überlaufen ließ. Da es außerdem vor einigen Tagen elsässische Überläufer auch beim I.R. 53 gegeben hat, will man jetzt anscheinend ein Exempel statuieren.

Ich aber bin erschüttert. Und je mehr ich über das Schicksal dieses armen Kameraden nachdenke, der selbst “nichts” verbrach, sondern nur ein Verbrechen geschehen ließ, desto stärker drängt sich mir die Überzeugung auf, dass dieser Spruch des Kriegsgerichts nicht nur ungerecht, sondern auch unserer “unwürdig” ist.

Das damit Erstrebte wird nie erreicht werden. Hegt man wirklich Misstrauen gegenüber der Vaterlandsliebe der Elsässer (auch ich möchte nicht für jeden “Schangel” meine Hand ins Feuer legen), so bleibt nur eins übrig: “Heraus aus der Front, ehe uns allzu großer Schaden durch sie zugefügt werden kann!”

Jener aber, der nun für einen anderen sein Leben lassen musste, hat unschuldig den Tod erlitten.

Wie mag es seiner armen Seele zumute gewesen sein, als er den Spruch des höchsten Gerichtes vernahm? Durfte man wirklich um solch kleiner Ursache willen, eine so harte Strafe ersinnen? Soll das der Dank dafür sein, dass er tagtäglich seine Haut zu Markte trug? Sollen wir aus diesem Beispiel den Mut schöpfen, die Leiden und Entbehrungen dieses Feldzuges weiter auf uns zu nehmen, um eines Tages – wenn auch vielleicht aus anderem, aber ebenso nichtigen Anlass – unser Leben zu beschließen?

Wie aber wird das hohe Kriegsgericht vor den Angehörigen dieses bedauernswerten Kameraden bestehen wollen? Sollen seine Briefe mit dem Vermerk and die Heimat zurückgehen:

“Gefallen auf dem Felde der Ehre!”

Oder soll es heißen:

“Dieser Soldat wurde erschossen, weil — der Arm der Gerechtigkeit nur bis zu den eigenen Gräben und nicht bis zu jenem reichte, dem es gelang, ihrem Grauen zu entfliehen.”?

Ich finde mich nicht mehr zurecht in diesem Wirrwarr der Gefühle und Empfindungen, will aber von Herzen hoffen, dass dieser Spruch des Kriegsgerichts der erste und letzte seiner Art sein möge.

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 26.6.