Dum – Dum – Geschoss und Schewfelgranaten. Das englische Infanteriegewehr. Stellungswechsel nach Halpegarbe. Quartier in Illies.
8 Uhr vormittags: Man spricht davon, dass unser Bataillon bald Stellungswechsel machen wird.
Die Augenblickliche Ruhe will ich benutzen, in diesem Büchlein die äußerst interessante Tatsache festzunageln, dass die Infanteriegeschosse der Engländer ohne Ausnahme “Dum-Dum-Geschosse” sind.
Das scheinheilige Albion hat natürlich nach außen hin alles vermieden, seine Gemeinheiten gleich auf den ersten Blcik ersichtlich zu machen, und wir selbst sind lediglich durch Zufall hinter das Geheimnis dieser Geschossart gekommen. Eine gründliche Untersuchung der Gewehrkugeln ergab, dass diese statt eines Stahlmantels nur einen solchen aus ganz weichem Metall besitzen und auch nicht – wie sonst üblich – einen vollen, sondern einen geteilten Bleikern in sich tragen.
Äußerlich stieht also jede Kugel wie die unseren aus. Die Sachlage ändert sich aber, sobald die Spitze abgebrochen wird.
Zur Erfüllung dieser Aufgabe befindet sich an den englischen Gewehren eine besondere Vorrichtung, die es ermöglicht, aus den einzelnen Geschossen erst im allerletzten Augenblick Dum-Dum-Geschosse zu machen, ohne dass man dem Feind diese Schandtat richtig nachweisen kann.
Ich selbst habe gestern ein englisches Gewehr gefunden, genau auf seine Konstruktion untersucht und dabei auch die völkerrechtswidrige Fabrikation der Geschosse mit Erfolg versucht. Zum jederzeitigen Beweise meiner Behauptungen werde ich einige Gewehrkugeln dieser Art aufbewahren.
Die englischen Gewehre sind im übrigen zum Unterschied von den deutschen Handwaffen zweifellos neuzeitlicher. Bei der Visier-Einrichtung liegt z.B. Das Korn innerhalb zweier gebogener Seitenwände und gestattet so ein besseres Zielen. Das Visier selbst reicht – wie bei uns – bis 2000m, hat aber außerdem noch eine Vorrichtung zum Ausschalten einer etwa durch Beschädigung hervorgerufenen Seitenverschiebung. Weiter ist an der linken Seite ein Hilvsvisier angebracht, welches zum Nehmen einer Entfernung von 1700 bis 2800m dient. Das Schloss ist ähnlich dem unseren, jedoch einfacher. Die Patronenkammer fasst gegenüber der unseren statt 5 insgesamt 11 Patronen. Im Kolbenschaft ist eine kleine Büchse mit Öl untergebracht, ein Hilfsmittel, das auch uns durchaus erwünscht wäre.
Im Zusammenhang mit den Dum-Dum-Geschossen muss ich noch erwähnen, dass auch die Geschosse der feindlichen Artillerie völkerrechtswidrig sind. Sie enthalten neuerdings neben der üblichen Sprengladung noch eine Schwefel- oder ähnliche Mischung, so dass der Körper nicht nur äußeren Verletzungen sondern auch mit seinen inneren Organen besonderen Gefahren ausgesetzt ist.
Soviel ich hörte, soll man auf unserer Seite bereits zu Gegenmaßnahmen gegriffen und unsere Feldartillerie mit ähnlichen Geschossen versehen haben. Jetzt werden diese Lumpen ja wohl bald merken, welches Unheil sie auf ihre eigenen Köpfe heraufbeschworen haben.
Das steht jedenfalls fest: Ohne zwingenden Grund sind die Deutschen bisher nirgendwo aus ihrer idealen Kampfesweise und Kriegsführung herausgetreten. Aber angesichts der Schandtaten der Feinde, besonders der Engländer, kann es für uns nur heißen “Auge um Auge, Zahn um Zahn!” Das sind wir schon unseren braven Infanteristen schuldig, die alles in erster Linie erdulden müssen.
Der gestrige Sturm auf Chapelle soll übrigens geglückt sein. Näheres ist allerdings auch bis jetzt noch nicht bekannt geworden.
11 Uhr vormittags: Der Ruhetag ist wieder zum Teufel, denn eben kommt Befehl zum Stellungswechsel nach links in die Nähe von Halpegarbe.
Die Fernsprechleitung muss 3km aufgenommen und von der alten Beobachtungsstelle nach der neuen Batteriestellung, 3km links, verlegt werden. Dauer dieser Operation etwa 4 Stunden.
3 Uhr nachmittags sind wir mit unserer Arbeit zu Ende. Zum Lohn dafür gibt es anschließend an das Mittagessen wieder reichlich Feldpost.
Mit Einbruch der Dunkelheit bezieht die Batterie Quartier in Illies. Doch werden wir hier nicht warm, denn gegen 7 Uhr erfahren wir, dass die 1. und 2. Batterie morgen früh schon wieder in der alten Stellung bei Herlies schussbereit stehen soll. Außerdem muss bis zu diser Zeit eine neue Fernsprechleitung zur Beobachtung in der Kirche Aubers bereit liegen. Wir geben uns halb 8 Uhr abends an die Arbeit und kehren erst um Mitternacht zu unserem Quartier zurück.
Der neue Quartierort ist ebenfalls stark zerstört. In ihm sind – wie in Herlies – kreuz und quer Schützengräben ausgeworfen und Barrikaden errichtet – Zeichen dafür, dass unsere Truppen auch hier erst nach erbittertem Straßen- und Nahkampf Einzug halten konnten.
Der nächste Tagebucheintrag folgt am 28.10.
Michael Hoffmann
Oh weh, das sieht man schon kommen: deutscher Gaseinsatz als gerechte Revanche fuer „voelkerrechtswidrigen“ Dum-dum Einsatz.
Thomas
…. Der „Wettlauf zum Meer“ scheint wohl beendet zu sein und der Stellungskrieg nimmt wohl jetzt seinen Anfang. Bin auf die weitere Entwicklung gespannt
Klaus
Schon übel, wie man das Verhältnis Gute (Deutsche) : Böse (Engländer) definierte, sicher auch ein Ergebnis der Propaganda. Die
Englischen Verteidiger verübten Schandtaten, während man bei den deutschen Angreifern von idealer Kampfesweise und Kriegsführung spricht. Bin auch gespannt, wie man dann später den Giftgaseinsatz
interpretieren wird.
ruedi
Leute! Gas wurde bereits im August 14 von den Franzosen eingesetzt. Besonders im Festungs- und Häuserkampf war das effektiv.
Völkerrechtswidrig war übrigens auch die Handelsblockade in der Nordsee die komplett Mitteleuropa betraf und ca 1 Mio Leben kostete.
Stefan
Die Blockade-Taktik fand auch Beachtung in Wilsons 14-Punkte-Plan – allerdings fand diese niemals positive Anklang seitens Englands in den Verhandlungen ab 1918.
Daniel
Ja, aber da hatten man „nur“ Tränengas verwendet.
ruedi
Alles nur eine Frage der Dosis, auch heute Tränengas kann tödlich sein. Und selbst das spätere Giftgas sollte vor allem die Soldaten aus den Gräben treiben um sie umbringen zu können.
Jan Ole
Ja, ja, das „scheinheilige Albion“, das schreibt ja auch Ernst Pauleit*lach*
Ganz so einfach, wie oben kommentiert, war bzw. ist es mit der Rolle der „Blockade“ für den Mangel im Deutschen Reich (Stichwort „Steckrübenwinter“) nicht. Die umfängliche wie gut lesbare und neue Forschungsergebnisse darlegende Studie des Berliner Historikers Oliver Janz (Zitat: „Oliver Janz‘ (…) ‚14 – Der Große Krieg‘, liegt als [leider vergriffene!] Ausgabe der bpb-Schriftenreihe vor. In seiner Überblicksdarstellung stellt der Autor den globalen Charakter des Krieges heraus. Er nimmt dessen neuartige Dimensionen in den Blick: die industrielle Kriegsführung, die räumliche und ethische Entgrenzung sowie die wirtschaftliche und kulturelle Mobilisierung der Gesellschaften. (…)“) sind die erheblichen Versorgungsprobleme auch auf die insgesamt rücksichtslose Umstellung der deutschen Wirtschaft auf eine Kriegswirtschaft und den Vorrang der Rüstungsindustrie und der Versorgung der deutschen Armee vor der der Zivilbevölkerung (inklusive Vorrang der militärischen Nutzung des Transportwesens!) zu sehen. Stichwort „Totaler Krieg“, den erstmals Generalquartiermeister Erich Ludendorff (vgl. u.a. http://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Ludendorff#Dritte_Oberste_Heeresleitung und http://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Ludendorff#Einfluss_auf_die_Nachwelt) – allerdings nach dem Krieg – in die Diskussion einbrachte.
ruedi
So viele Kriegsfreiwillige für die dt Armee aus der Niederlande gabs bestimmt nicht. Die hatten dennoch unter der Handelsblockade gelitten obwohl sie ihre Arbeitskräfte noch hatten. Gut, die hatten auch noch einige Flüchtlinge zu versorgen die andererseits aber auch Arbeitskräfte waren.
Jan Ole
p.s: Übrigens Danke nach Hamburg für dieses tolle Projekt. Als Historiker mit einem gesteigerten Interesse für den Ersten Weltkrieg ist dieser Blick in „Herz und Hirn“ (um es in einer flotten Alliteration zu formulieren) eines einfachen Soldaten (und wachen Geistes!) jeden Tag die Lektüre mehr als wert. Und ich freue mich auf die vier Jahre!
Grüße aus Lübeck
Jan Ole
Jan Ole
Richtig sollte es heißen:
Zum Beispiel schildert die umfängliche wie gut lesbare und neue Forschungsergebnisse darlegende Studie des Berliner Historikers Oliver Janz (…), dass die erheblichen Versorgungsprobleme auch auf die insgesamt rücksichtslose Umstellung der deutschen Wirtschaft auf eine Kriegswirtschaft und den Vorrang der Rüstungsindustrie und der Versorgung der deutschen Armee vor der der Zivilbevölkerung (inklusive Vorrang der militärischen Nutzung des Transportwesens!) zurückzuführen sind.
Da habe ich meinen Kommentar zu schnell abgeschickt. Pardon…
Barbara
Das ist der Beginn des Gaskrieges… 🙁
ruedi
Das begann bereits im August, s.o. Im Verlauf des Kriegs wurde die „Gastechnik verbessert“, wie andere Waffen auch.
Stefan
ich weiß, es war nicht so gemeint, aber ‚Gastechnik verbessert‘ hört sich bzw. liest sich schon drastisch.
Ähnlich wie auch die später eingeführte Vorgehensweise des ‚Farbenschießens‘. Klingt an sich harmlos, bezeichnet allerdings das (teuflische) Vorgehen eine Mischung aus Gasen zu verschießen, von denen die eine Kompenente die Masken durchdrang und den gegnerischen Soldaten zwang, die Maske abzunehmen, damit ihm die zweite Komponente, das Lungengift, den Garaus machen konnte.
ruedi
Ich hatte es nicht umsonst in Anführungszeichen gesetzt.
Thomas
Es macht mich betroffen wie hier ein Kriegsverbrechen gegen das andere aufgerechnet wird. Auf beiden Seiten wurden Kriegsverbrechen begangen. Sowohl im ersten als auch im zweiten Weltkrieg und wohl auch in allen anderen folgenden Kriegen. Ob Gas oder Dum-dum, wen es trifft, für den ist es immer furchtbar.
Flo
Aus unsere heutigen Sicht gebe ich ihnen Recht, wir haben es hier aber mit einer sogenannten Primärquelle zu tun.
Das war die damalige Ansicht des Autoren und wenn ich das richtig im Kopf habe hat der Autor später beim übertragen selber den Kopf über seine eigenen damaligen Ansichten geschüttelt.
Thomas
Ich meinte hier im Forum.
Hermann
Hier im Forum gehts um die damalige Sicht. Auch gehts hier um den 1. Weltkrieg, nicht um den 2. oder folgende.
Mit Pseudobetroffenheiten kann ich erst mal nichts anfangen.
Thomas
Ich empfinde meine Betroffenheit nicht als „Pseudobetroffenheit“ wie Sie es bezeichnen. Es nervt mich nur, dass es auch hier Leute gibt, die reflexartig immer bei ihrem eigenen Volk Schuld und Verbrechen suchen und die Kriegsverbrechen der anderen als „notwendige“ Reaktion gegen die bösen Deutschen hinstellen.
Auf beiden Seiten wurde sich nicht an das Völkerrecht gehalten. Und egal wer mit dem Gas anfing, Gas ist ein Verbrehcen an den Menschen jeder Nation und gibt keinem Volk die Rechtfertigung ebenso zu handeln.
Hermann
Dann weiss ich nicht wo Sie lesen. Hier gehts um das Nachvollziehen der Ereignisse, das wars.
ulrike
Es scheint, dass beide Seite aus Propagandagründen einander vorgeworfen haben, diese Geschosse zu benutzen.
interessasnte Diskussion dazu:
http://iaaforum.org/forum3/viewtopic.php?f=8&t=14100