Feindlicher Ansturm mit schweren Verlusten für beide Teile abgeschlagen. 9 Stunden im feindlichen Feuer auf der Beobachtung. 1 Verwundeter. Batterie macht Stellungswechsel nach rechts.
Den Franzosen war es im Laufe des gestrigen Tages trotz heftiger Gegenwehr gelungen, hier und da bis nahe an unsere Hauptstellungen heranzukommen und ihre Erfolge im Schutze der Dunkelheit weiter auszubauen. Ein Verlassen der Geschütze war unter diesen Umständen ausgeschlossen. Wir mussten uns neben ihnen auf hartem Boden ohne Schutz gegen Wind und Wetter zur Ruhe legen.
Die Nacht verlief wider Erwarten ruhig. Heute begann jedoch schon am frühen Morgen unmittelbar vor uns lebhaftes Gewehrfeuer. Da die alte Beobachtungsstelle unhaltbar geworden war und auch nicht genügend Einblick in das feindliche Gelände bot, verlegten wir sie im Laufe des Vormittages weiter nach Südosten. Sie wurde auf einer kleinen Anhöhe zwischen zwei Strohschobern eingebaut. Links von uns hatte sich ausserdem eine Feldartillerie-Beobachtung häuslich niedergelassen.
Während des Einbaues herrschte trübes und unsichtiges Wetter. Allmählich klärte es sich auf, ohne dass wir aber besonders darauf achteten. Der Feind dagegen musste wohl auf unser Tun und Treiben auf der Höhe aufmerksam geworden sein. Noch ehe wir selbst fertig waren und zum Schuss kamen, eröffnete er – etwa gegen 8 Uhr morgens – auf uns überraschend ein mörderisches Feuer aus leichten Feldgeschützen.
Die Stellung der feindlichen Batterie konnten wir an dem Aufblitzen der Geschütze deutlich erkennen. Wir hätten sie trotz der eigenen Gefahr liebend gern aufs Korn genommen. In diesem Augenblicke überbrachte uns jedoch ein Leutnant der Division Befehl zur Bekämpfung starker feindlicher Marschkolonnen bei Cormicy (in einer Entfernung bis zu 7500m), dem wir zunächst Folge leisten mussten. Viel Glück hatten wir damit freilich nicht. Es war uns gerade noch möglich, die notwendigsten Angaben für diesen Schießauftrag telefonisch zur Geschützstellung zu übermitteln – dann wurde die Verbindung nach rückwärts unterbrochen. Ein Wiederflicken der Leitung war ausgeschlossen. Ab und zu gab es zwar beim Feind kurze Feuerpausen. Dann eröffnete er aber die unmittelbar hinter unserer Beobachtung stehende Feldartillerie das Feuer, mit dem Erfolg, dass der Feind – noch ehe wir uns auf die Socken machen konnten – von neuem zu schießen anfing.
Immer dichter und schneller fielen die Geschosse. Granaten und Schrapnells klatschten uns um die Ohren. Das Scherenfernrohr hatten wir längst verlassen müssen. Es blieb uns nur übrig, unsere Körper so dicht wie möglich an den hinteren unteren Rand des Strohschobers heranzupressen.
Dabei ging es uns wie dem Vogel Strauß. Je weiter und tiefer wir den Kopf in das Stroh hineinwühlten, desto mehr glaubten wir der Gefahr entronnen zu sein. In Wirklichkeit war es nur eine billige Selbsttäuschung, die uns allerdings über die gefährliche Situation wenigstens so lange hinweghalf, bis schließlich doch einer von uns erwischt wurde.
Wir mochten wohl 3 Stunden in dieser bedrängten Lage zugebracht haben, als plötzlich Kamerad E. Zu stöhnen anfing. Er war von einem Granatsplitter in den linken Oberschenkel kurz unterhalb des Leibes getroffen worden. Das Blut quoll durch die Hose. Wir machten ihm in liegender Stellung, so gut es die Umstände erlaubten, mit den stets bei uns geführten Verbandspäckchen einen Notverband. Das war aber die ganze Hilfe, die wir im Augenblick bieten konnten. Dann mussten wir wieder an uns selbst denken.
Nach weiteren 2 Stunden kam mitten im Feuerregen unerwartet der Bursche des Hauptmannes mit dessen Pferden angeritten. Der Hauptmann stieg sofort auf und entkam glücklich dem Geschosshagel. Ich hatte mit ihm in einer Ecke gelegen. Die anderen lagen hinter dem rechts stehenden Schober. Da für uns ein Befehl zum Verlassen der Beobachtung nicht ergangen war, mussten wir weiter ausharren.
Den Anritt des Burschen auf freier Höhe betrachtete ich als große Torheit, denn er musste mit seinen beiden Pferden vom Feinde unbedingt bemerkt werden. Tatsächlich wurde das Feuer auch bald wieder so stark, dass meine Kameraden es in der nächsten Pause vorzogen, ebenfalls zu verduften, jedoch ohne mir davon Mitteilung zu machen. Ich blieb also liegen und wartete der Dinge, die da kommen würden. — Da kroch auf einmal Kamerad E. Auf allen Vieren um die Ecke zu mir mit der betrübenden Nachricht, dass die anderen fort seien. Was sollten wir machen?
Das Granat- und Schrapnellfeuer begann von neuem und es hieß nur, sich ducken und weiter aushalten. Unsere Lage aber war wenig beneidenswert. Die Strohmiete nebenan, auf der die Feldartillerie ihre Beobachtung eingerichtet hatte, wurde durch ein Schrapnell in Brand geschossen. Im Nu schlugen die Flammen – durch den Wind noch besonders angefacht – in die Höhe und nur mit größter Mühe gelang es den Kameraden, sich zu retten. Das waren wirklich günstige Aussichten auch für uns.
Der arme Kerl neben mir tat mir in seinem Zustande leid. Er konnte das zerschossene Bein nicht mehr bewegen. Nur mit Mühe hatte er sich zu mir herangeschleppt. Nun stöhnte und seufzte er, dass einem das Herz brechen konnte.
In den ab und zu eintretenden Feuerpausen des Feindes raffte ich mich endlich auf, um die auf der Beobachtung liegen gebliebenen Sachen zusammenzupacken und im geeigneten Augenblick für die Batterie zu retten. Meine Geduld wurde noch auf eine harte Probe gestellt. Als endlich kurz vor 5 Uhr nachmittags das Feuer wieder einmal eingestellt wurde, buckelte ich mir das Scherenfernrohr, das Gestell dazu, die Kartentasche, den Lautsprecher und meinen Karabiner auf.
Dann schob ich mit mehr als 1 Zentner Gepäck los, erst im Laufschritt, und, nachdem ich bei der nächsten Feldartilleriestellung für einige Minuten gerastet und Schutz gesucht hatte, im Schritt nach der Stellung unserer Batterie zu. Die Geschütze waren längst anderweit in Stellung gegangen. Nur der Beobachtungswagen stand noch da.
Das Gefühl, welches mich überkam, als ich mich endlich wieder in Sicherheit befand, war befreiend. Angst hatte ich in meiner gefährlichen Lage – wie wohl alle meine Kameraden – kaum gespürt, aber die Fäuste krampfte ich bei jedem feindlichen Einschlag zusammen vor Wut darüber, dass wir so untätig daliegen mussten und den Lumpen nicht eine gleiche Ladung Eisen ins Gesicht schleudern konnten.
Jetzt war ich aus meinem Gefängnis erlöst. Ich atmete tief auf und dankte dem Geschick, dass mich so gnädig behütet hatte.
Vorn veränderte sich die Lage inzwischen nur wenig. Das feindliche Feuer hielt bis zum Abend mit kurzen Unterbrechnungen an. Ein von uns unternommener Versuch, den verwundeten Kameraden herauszuholen, musste wieder aufgegeben werden.
Später ist er aber doch noch von den braven Krankenträgern, die hier Übermenschliches leisten müssen, abgeholt und ins Feldlazarett gebracht worden.
Überall gibt es Verluste. Die Feldartillerie hinter uns hatte infolge eines Volltreffers ausser 2 Schwerverwundeten noch einen Toten, dem der Kopf abgerissen worden war. Sie kam bei dem starken Gegenfeuer des Feindes nur verschwindend wenig zum Schuss.
Nach eingetretener Dunkelheit konnten wir endlich daran denken, unsere Batterie zu suchen. Wir fanden sie einige hundert Meter nördlich der alten Stellung wieder, wo sie inzwischen ohne uns fleißig gewirkt hatte. 150 Schuss je Geschütz waren von ihr verknallt worden, denn es galt, die wütenden Anstürme des Feindes unter allen Umständen aufzuhalten.
Zu meiner größten Freude konnte ich noch zwei Postsachen von Muttern und einen Brief aus Witten, abgesandt am 27., 28. und 30. 8. in Empfang nehmen, nach deren Studium ich mich der wohlverdienten Ruhe hingab.
Der nächste Tagebucheintrag folgt am 15.9.
Baldauf Armin
Die Berichte Ihres Urgroßvaters sind sehr erschütternd, zeigen sie doch die wahren Verhältnisse im Gefecht. Ich empfehle auch die Lektüre von German Werth „Verdun“ danach ist jede Kriegsbegeisterung erloschen.