Endlich bricht sich der Frühling Bahn. Teilangriffe ohne Zusammenhang. Die viel umworbenen Höhen 91, 100 und 108. Volltreffer im feindlichen Leuchtkugellager. Artilleristische Schauspiele.
Endlich bricht sich der Frühling Bahn. Das letzte Gewitter am 6. hat reinigend gewirkt. Seitdem ist es herrlich, besonders bei uns im Walde. Überall sprossen schon die zarten und duftigen Blüten weiß und violett unter dem saftigen Waldgrün hervor.
Ich wundere mich fast, dass ich angesichts des Krieges und seiner Schrecken überhaupt noch Freude über das Geschehen in der Natur empfinde. Und doch sind Baum und Strauch gegenwärtig wohl das einzige, an das man noch glauben darf.
Das Blätterdach über uns wird täglich dichter. Es bringt uns dreifachen Vorteil. Das Auge erfrischt sich an dem zarten Grün, die Lungen saugen die reine Frühlingsluft in vollen Zügen — und vor den Fliegern sind wir nunmehr geschützt. Man darf das Nützliche neben dem Angenehmen nicht ganz vergessen.
Die Franzosen suchen jetzt ihr Glück in Teilangriffen. Bald trommeln sie hier, bald dort – ohne Zusammenhang. Am meisten liegen ihnen die Höhen 91, 100 und 108 im Magen. Ihre wiederholten Anstürme gegen sie waren bisher erfolglos.
Ob so die Entscheidung im Westen kommen wird?
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Heute wurde mir während des beiderseitigen Artillerieduells ein selten schöner Anblick zuteil. Ich betrachtete durch das Scherenfernrohr gerade das Gelände bei Berry au Bac, als plötzlich durch einen Volltreffer unserer Artillerie ein Leuchtkugellager des Feindes in die Luft flog.
Während ich schon früher einmal – an der Somme – ein ähnliches Schauspiel erlebte, unterschied sich das heutige von jenem dadurch, dass weniger die Farben der Leuchtraketen, als vielmehr die langen, weissen Rauchstreifen beim Auf- und Absteigen in der windstillen Luft wunderbare Gebilde hervorzauberten. Es war, als bauten sich Riesenbäume und Sträucher mit glitzerndem Rauhreif auf der Erde auf. Das Auge konnte sich an dieser – endlich auch einmal unblutigen – Pracht kaum sattsehen.
Ein anderes, vielleicht weniger schönes, aber umso eigenartigeres Schauspiel bot sich mir vorgestern dar.
Ein Laie – selbst ein Angehöriger anderer Truppengattungen als der Artillerie – wird es kaum glauben, dass man die Flugbahn unserer Geschosse nach dem Abschuss genau verfolgen kann. Dennoch ist dies bei einiger Übung möglich, sobald man sich hinter das Geschütz stellt und der vermutlichen Flugbahn des Geschosses ein Stück vorauseilt. Man sieht dann, wie sich von dem Rohr ein schwarzer Punkt ablöst, immer höher steigt und schließlich im Dunst der Atmosphäre verschwindet.
Noch unwahrscheinlicher aber mag es klingen, wenn ich behaupte, dass auch umgekehrt das Geschoss einer feindlichen Batterie vom Abschuss bis zum Einschlag in das Gelände beobachtet werden kann. Ich selbst hatte dieses Glück vor wenigen Wochen.
Ein seltener Zufall stellte mein Scherenfernrohr genau in die Geschossbahn eines feindlichen Steilfeuer-Geschützes, dessen Geschosse bekanntlich eine weit geringere Fluggeschwindigkeit aufweisen als die der Flachfeuergeschütze, wie z.B. unserer 13cm Kanone. Schuss um Schuss kletterten die Granaten in meinem Glase wie die Fliegen empor, überschlugen sich hoch oben in der Luft und kehrten dann wieder zur Erde zurück, um in der Nähe unserer Gräben zu zerplatzen. Ich wurde auch hier des Schauens nicht müde.
Der nächste Tagebucheintrag folgt am 11.5.
Von Sassow
Meine Mutter hat aus WKII berichtet das sie beim Münstereifel, die Geschosse eines Zuggeschützes beim Überflug hören konnte! Sie nannte das die „fliegenden Koffer“!