1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

13.4.1917 Trotz Granaten und Flugblättern

/ / Zum zweiten Mal an der Aisne 3.3.17-8.7.17

Alle Mühe des Feindes umsonst – trotz Granaten und Flugblätter. — Sind die Flugblätter aber wirklich bedeutungslos?

10 Uhr morgens. Soeben höre ich am Fernsprecher: “Angriffe auf der ganzen Front abgeschlagen!”

“Abgeschlagen!” Hurra!

Wie mag es jetzt wohl den feindlichen Heerführern und Truppen zu Mute sein, die uns mit ihrem Feuer- und Eisenhagel zu zermalmen glaubten?

Was aber ihre tausend und abertausend Granaten nicht erreichten, sollen wahrscheinlich den in unseren Linien abgeworfenen zahlreichen Flugblättern vorbehalten bleiben, die folgenden Wortlaut hatten:

Deutsche Soldaten!

Wie Ihr wisst, sind die vereinigten Staaten von Amerika in den Kriegszustand eingetreten. Nicht dem deutschen Volke hat diese Republik den Krieg erklärt, nein, Eurer Regierung, Eurer Militärkaste, Euren Junkern. Die Vereinigten Staaten, welche sich bereit erklärt haben, ihre ganze Kraft aufzuwenden, um Deutschlands Machtansprüche zu vereiteln, stellen den Verbündeten ihre Flotte, ihre ungeheures Menschenmaterial und ihren unerschöpflichen Reichtum zur Verfügung. Glaubt wirklich in Deutschland ein Vernünftiger noch daran, dass es Eurer Regierung gelingen wird, die ganze Welt zu Boden zu werfen?

Der Eintritt Amerikas in den Krieg ist die Folge der Fehler Eurer Regierung, die gerechte Strafe für den verschärften U-Boot-Krieg, für die Sklavenjagden in Belgien, für die eines Kulturvolkes unwürdigen Zerstörungen in Nordfrankreich. Deutsche Soldaten! Es gibt nur noch ein Mittel, Euch zu retten, bevor es zu spät ist. Kommt herüber: Ihr wisst, dass Ihr bei uns gut aufgenommen, gut behandelt, gut ernährt und als brave Soldaten geachtet werdet! Wollt Ihr Euch weiter aufopfern lassen für die Fehler und Grausamkeiten Eurer Ausbeuter und Kriegsschmarotzer?

Auf einen vernünftigen Menschen kann solch elendes Geschreibsel selbstverständlich keinen Eindruck machen. Doch sollte man trotzdem nicht die darin liegende Gefahr unterschätzen.

Wer 8 Tage ununterbrochen im Trommelfeuer lag, mag diesen teuflischen Zuflüsterungen und Versprechungen zugänglich werden ohne sein Zutun — und wer jahraus, jahrein diesen Schlamassel mitmachen muss ohne Hoffnung auf Rückkehr in die Heimat, greift schließlich auch zu dem letzten Mittel – dem Überlaufen.

In einem hat das Flugblatt zweifellos recht: Es gehört mehr als ein starker Glaube dazu, dass wir je die zahllosen, aus allen Erdteilen zusammengezogenen Völker niederringen könnten. — Wir können lediglich hoffen, dass es allerseits – bei Freund und Feind in gleicher Weise – eines Tages dämmern wird, dass aller Kampf in dieser Form Wahnsinn bedeutet und die Menschheit höheren Zielen nachjagen müsste.

Die Zukunft liegt schwarz und dunkel vor uns. Man darf nicht darüber nachgrübeln, was sie von uns noch vorbehalten mag. Fast 3 Jahre sind wir nun draußen. Hundertmal schon glaubten wir, unsere Gegner bezwungen zu haben – und immer wieder kommt ein neuer Nackenschlag, der uns die Hoffnung raubt, dass wir dem Ende nahe seien.

Selbst, dass wir gestern die unerhörten Anstrengungen des Feindes zunichte machten, kann uns nicht froh werden lassen.

Was ist damit gewonnen? Der Feind wird alles daransetzen, doch noch vorwärtszukommen – wir werden alles tun, dies zu verhindern – und währenddessen werden wiederum hunderte und tausende unserer und ihrer Kameraden verbluten.

Am Vormittag ist es fast totenstill.

Am Nachmittag setzt jedoch wieder heftiges Störungsfeuer auf unsere Gräben, Artillerie- und Reservestellungen ein.

Abends gegen 8 Uhr steigen vereinzelt grüne und rote Leuchtkugeln hoch. Das Sperrfeuer wird aber bald eingestellt, da es sich nicht um ernstliche Angriffe des Feindes zu handeln scheint.

In der Nacht gibt es das übliche Störungsfeuer. Aus einer feindlichen Batterie bei Cormicy, die wir kurz vor Einbruch der Dunkelheit ausräuchern konnten, zischen noch lange hinterher explodierende Granatenbündel in die Luft.

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 14.4.

  1. Ist interessant, dass noch immer sowas wie „Auf einen vernünftigen Menschen kann solch elendes Geschreibsel selbstverständlich keinen Eindruck machen. Doch sollte man trotzdem nicht die darin liegende Gefahr unterschätzen“ schreibt.

    Besonders in Betracht der Tatsache, dass dieses spezielle Flugblatt in der Sache ziemlich richtig liegt.

    Antworten

  2. kann jemand die handschriftliche Notiz auf dem Flugblatt entziffern?

    Antworten

  3. Das Problem ist halt, das alle Beteiligte in der Verblendung Ihrer Kultur und Erziehung gefangen sind, und das bis heute!! Und leider jeder!!!

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert