Marle, Guise, Longchamp. Überall wieder Friedensbetrieb.
Schlaf ausgezeichnet – und seit langer Zeit wieder einmal ohne unmittelbare Kriegsgefahr. Wecken 6 Uhr. Das Wetter verspricht gut zu werden.
7 Uhr vormittags Abmarsch in nordöstlicher Richtung zunächst über Marle bis Guise. Dort halb 1 Uhr Mittagsrast.
1 Uhr mittags Weitermarsch bis Longchamp. Ankunft 4 Uhr nachmittags.
Trotz des kühlen Ostwindes war es fast den ganzen Tag heiß, so dass wir auf unserem Marsch bergauf und ab nicht wenig in Schweiß gerieten. Wir wurden dafür durch mancherlei Abwechslung entschädigt. Der Etappenbetrieb löste außerdem eine lange nicht mehr gekannte Ruhe in uns aus.
In den Städten Marle und Guise ging wieder alles seiner friedlichen Beschäftigung nach. Zwar konnte man die Spuren deutschen Vormarsches und französischer Granaten noch überall feststellen, doch war man bereits an vielen Stellen eifrig bemüht, die Wunden des Krieges zu heilen.
Dies fiel mir besonders in Guise auf. Dort stand von dem ehemals schönen Marktplatz nur noch ein einziger Trümmerhaufen, der aber von fleißigen Händen abgetragen und wieder zu neuen Wohnstätten geformt wurde.
Man sieht, unter deutschem Schutze kehrt bald die alte Ordnung zurück. Die Bevölkerung fühlt sich dabei – wenigstens äußerlich betrachtet – wohl und ist froh, aus dem Bereich der Kämpfe gerückt zu sein. Landwehr – und sogar Landsturmtruppen haben den Etappendienst übernommen. Eisenbahnzüge rollen ununterbrochen mit Truppen und Material zur Front. Überall ein anheimelndes Bild des Friedens.
Auch unser Marsch hat im Vergleich zu dem Vormarsch im August und September weit angenehmere Formen angenommen. Der Gedanke an den Feind scheidet aus. Außerdem hat unser jetziger Batterieführer ein Herz für seine Leute. Man fühlt aus seinem ganzen Wesen, dass ihm etwas an dem Wohl seiner Truppe gelegen ist.
Bei Beginn des Marsches laufen wir zunächst etwa 1 Stunde; dann dürfen wir aufsitzen – und nur bei größeren Steigungen geht es wieder zu Fuß. Quartier wird wie für die anderen Batterien in gleich guter Weise besorgt. Und über die Verpflegung können wir uns nicht beklagen.
Im übrigen ist selbst Frankreich nicht so groß, als dass man sich nicht wiederfände. Unterwegs erhielten wir Zuwachs. Leutnant H., der seinerzeit bei Namur verwundet wurde, kehrte zu uns zurück. Seine Verletzungen sind tadellos verheilt.
Der nächste Tagebucheintrag folgt am 10.10.
Klaus
Es klingt schon erstaunlich, ja zynisch, wenn Ernst Pauleit, angesichts zerstörter Dörfer und verstörter Menschen von einem
„anheimelden Bild des Friedens“ spricht. Ist das Sarkasmus oder
tatsächlich seine Wahrnehmung?
u.
Ich hatte die gleiche Empfindung, und denke, das ist schon seine ehrliche Meinung. Es wird sicher noch lange dauern, bis die kritischen Gedanken, die ab und zu schon kurz aufblitzen, sich in seinem Kopf gegen die Propaganda, der er ja lange/konstant ausgesetzt war, durchsetzen werden und er andererseits auch seine Wut über das, was er erdulden/erleiden muss, als solche analysieren kann und sie nicht mehr in Hass und Aggression gegen die Soldaten auf der anderen Seite der Front umwandelt, sondern sie gegenüber den wahren Verantwortlichen spürt.
O.
Heutige Karte: https://goo.gl/maps/Y7FIj