1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

30.5.1915 Die „Hundert-Sprengung“

/ / In der Champagne 27.3.15 – 30.6.15

Die „Hundert-Sprengung“ des Jahrganges 1913

Sonntag. In unserem Lager herrscht Festbetrieb.

Wir – die Kameraden des Jahrganges 1913 – sind in das Anfangsstadium der “alten Leute” eingetreten, ohne dass wir freilich die traditionellen Vorteile und Freuden dieser Eigenschaft verspüren.

Das soll uns jedoch nicht hindern, an einem alten Brauch festzuhalten und heute die “Hundert” zu sprengen.

Noch 100 Tage also müssen wir von rechts wegen Dienst kloppen; dann werden wir Anspruch auf die Reservepfeife haben. Ob der Krieg auf dieses alte Soldatenrecht aber wirklich Rücksicht nehmen wird, das steht noch auf einem anderen Blatt.

Bei der am Abend angesetzten Feier gibt es großen Klamauk. Bei Bier, Kognak und Rollmöpsen kommen wir bald in Stimmung. Zum Schluss wird noch ein bunt bemalter alter “Rindsknochen” feierlich zu Grabe getragen.

Besondere Freude aber löst ein Lied aus, das nach dem Grundsatz “Reim Dich oder ich fress Dich” gedichtet wurde und folgenden Wortlaut hat:

Zur Erinnerung an die “Hundert-Sprengung” des ehemaligen 1. Batterie Fussartillerie-Regiments 7 (Jetzt 1./50) im Felde 1915

Es knallt, es knallt, es knallt:

“1./7. ans Geschütz!

Wir sprengen heut die “100”,

Dass es so knallt und blitzt.”

Vor stark zehn Monaten zogen wir aus.

In Köln, da stand unser Heimathaus.

Wir zogen hin durch Feindesland

Bis hier in diesen Unterstand.

Nun alle diese Mannen,

Sie sind geworden alt.

Auch viele sind befördert,

Doch lange noch nicht all.

Da seht mal diesen Diepers an;

Er wurde auch ein großer Mann.

Die Knöpfe er am Halse trägt.

Wie das sich bloss mit “5” verträgt.

Unser armer “Ferdi” – “Nr. 2”

Da seht doch bloß die Schweinerei!

Nicht mal die Knöpf trägt er am Kragen.

Und der, der will in Urlaub fahren?

Der Schröder ist ein starker Mann,

Reisst Bäume aus mit einem Arm.

Doch wurd’ er auch nicht mal Gefreiter.

Oh Willy: “Werde bald gescheiter!”

Der “Andres”, noch so jung er ist,

Er nennt sich doch schon Reservist.

Wenn dieser Krieg nicht kommen wär,

Dann hätten wir einen “Gefreiten” mehr.

Und Du, lieber “Jupp”, halt an die Luft.

Viel Orden zieren deine Brust.

Fürwahr, Du bist ein tücht’ger Streiter,

Drum bleibst Du doch ein Nüllenreiter.

Aber Eines hätt’ ich doch geglaubt:

Deine Leute hättest Du mehr im Zaun.

Diepers, Markens, Schröder und Sistenich,

So ‘ne Pinsels findet man nur am 1. Geschütz!

Das “erste” wär jetzt glücklich durch.

Zum “zweiten” ist’s ja nur ein Wurf.

Bei Tage sieht man keinen Mann.

Bis 3 Uhr nachts dort mauschelt man.

Das Kreuz von Eisen viele ziert,

Die Reih’ kommt, Leo, auch an Dir.

Schaffe weiter so, verzage nicht,

Und wenn auch mal der Tragbaum bricht.

Jetzt kommt unser “schwart Pitter”.

Auch er wär gern des Kreuzes Ritter.

Zum “ber” jetzt ernannt man ihn;

Kein “Vater Philipp” hindert ihn.

Aus de Fingerhutfabrik in Gruiten,

Wo de Hunde met de Fötte tüten,

Ein Misthaufen vor dem Hause prangt.

“Oh Küpper, verduff Di no Engeland!”

Und Heuken, erst in seiner Größe,

Er denkt, die “13” ist famöse,

Weil er jetzt mit der linken Hand

Dran ziehen kann für’s Vaterland.

“Baat aff” so schallt es hin und her.

Der “Franz”, mit Scheer und Messer schwer,

Misshandelt manchen stolzen Mann.

Man seh’ sich nur die Spitzbärt an!

Oh Krampf lass nach, oh Stumpfsinn auch,

Von wegen “hier” ist hier nicht Brauch.

Parole heisst bei uns nur ”Bauch”;

Denn “Fressen und Saufen”, das könn’ wir auch.

Oh Ingersauel, Dein Schönes Gesicht,

Das glänzt von weitem so fürchterlich.

Und erst Dein wohlgepflegter Bart

Verkörpert ganz die Rattenart.

Der “Mäk” der kleinste “Bulle” ist;

Doch er am Mittag stolz sich misst.

Bei ihm heisst’s “2. Zug allein!”

Der 3. Folgt dann hinterdrein.

Der “brune Paul” vom Wuppertal,

Der liest mit großem Wörterschwall

Die schönsten Siege frisch vom Blatt,

Die niemand je erfochten hat.

An allen ist er hier am Sticheln,

Doch tut er nie sich einen picheln.

Dafür frisst er der Züge “drei”.

Ist das nicht auch ‘ne Schweinerei?

Lieb Vaterland, magst ruhig sein:

Ernst Wirtz, der kommt jetzt hinterdrein.

Er sieht die “Knöpfe” schon von fern,

Drum will er jetzt auch “Richten” gern.

In Bas Flandre, welche schöne Zeit,

Sich auch ein Held dort hat gezeigt.

Bei Nacht und Nebel, regenschwer

Zog Mosbach aus mit dem Gewehr.

Nach Le Maisnil – in den Schützengraben.

Dort wollt er mit dem Feind sich schlagen.

Weil gar nicht “bon” die Regennacht.,

Kam er still von der tollen Jagd.

Als stiller Mann ist uns bekannt

Der Wittenstein vom Märkerland.

Bisher man ihn stets “Bubi” rief,

Doch stille Wasser gründen tief.

Humor, Humor! Verlass uns nicht.

Manch’ Schnapspull hier den Hals zerbricht.

Hier, bei dem 4. Sauf-Geschütz

Glüht jede Nase wie ein Blitz.

Der “Köbes” war ein kluger Mann;

Drum war er auch als erster dran,

Der mit den “Knöpp” ward ausgezeichnet.

Weil er die Sach’ verstand zu schmeissen!

Der Holzwurm “Richard” ist fürwahr

Ein Schreinermeister sonderbar.

NIcht einmal nur sieht man ihn wühlen,

Wenn er “keen Püllchen” hat im Kühlen.

Der “Emil”, welche Schmach und Pein,

Ist jetzt noch Kanonier allein.

Man sieht “ihn” auch nur schwitzen

Am “4.”, wo die Knöpfe blitzen.

Oh Emil, lat den Maut nich sinken,

Wenn Du keen Schnaps miähr häss te drinken.

“Kaline, holl de Been bisamen,

Süss mauk die enen ….!”

“Du krummer Bergmann”, sagte neulich

De Kätzmann’s Pitter, ganz abscheulich.

Doch wir, wir wissen nur zu gut:

“Der Dienert ist von edlerem Blut!”

Als Weihnachtsmann schickt Krupp von Essen

Den Amkreutz uns, sich satt zu fressen.

Deshalb wird er auch ganz galant

Dem Fourier als Hilfe zuerkannt.

Motto:

Das 4te: Mer trinken bloss noch Bottermelch, wenn keenen Schnaps mer hand!

Das 3te: Mer essen bloss noch Speck, wenn der Schinken all es weg.

Das 2te: Wir spielen bloss noch Domino, wenn die Klamotten all.

Das 1te: Und wir am “Ersten” uns zur Zier, wir sagen bloss noch “hier!”

Der Beobachtungswagen kommt jetzt dran,

Denn er steht niemals hinten an.

Beim Marsch ist er uns stets voraus;

Auch beim “Befördern” blieb’s nicht aus.

Der größte von ihnen Speikamp ist,

Weshalb er auch am meisten frisst.

Um nicht zu oft zum “Franz” zu gehn,

Ließ er sich einen Spitzbart stehn.

Ein guter Fernsprecher Herchenbach ist,

Und betreibt er alles mit kluger List.

So macht er die Sache stets hübsch und rund

Mit seinem sehr beweglichen Mund.

Der Pickshaus hat stets guten Durst.

Von wem der Wein das ist ihm Wurst.

So leb denn wohl, du Pulle Wein!

Die Knöpfe sind ja doch jetzt mein.

Unser Malermeister Paulus Bock,

Auch der gehört zum alten Stock.

Beseht Euch nur den “alten Knochen”,

Wie fein er ihn hat ausgestochen!

Die Solinger sind nicht alle gleich,

Der eine arm, der andre reich.

Doch ganz entschieden ist fürwahr

Der Arn ein Sonderexemplar.

Eine Festung ist erstanden

Links von der Haubitzbattrie,

Wo die Krankenträger wandeln

Durch die “Gräben” metertief.

Hier fühlt sich sicher und auch nett

Der Hegenberg und schläft im Bett.

Denn nicht mehr schießt auf 50 Meter

Den Dolch ins Kreuz der Hindu-Neger.

Ein zweiter ist dem Bund der Träger

Ist Frowein, ehmals Pinselquäler.

Wo es nur weh tut, streicht er schnell

Mit “Jod-Tinktur” die kranke Stell.

Der Hermann Hochkirch war bekannt

Als Adjutant im Flanderland

In Lorgies war, wie in Voirie,

Er Mitglied der Marin-Battrie.

Auch unser lieber Matthes Banten

Hat seine schiefen Ecken und Kanten.

Ihr müsst bloss seine Nas’ besehn,

Die tut dem Joffre ähnlich sehn.

Oh du mein “Waldemar”,

Ich lieb dich treu und wahr!

Du bist fürwahr von seltner Art,

Das zeigt uns Dein “Schinesenbart”.

Der Hottum, wie ihn jeder kennt,

Ist Schuster zwar, doch nie behend.

Die Sohlen sind ihm meist zu hart;

“Das ist so richtige Schusterart”.

Bisher erschienen in den Zeilen

Nur Kameraden, deren Weilen

Sich hat beschränkt auf die Battrie.

Es gibt jedoch bei unserer Feier

Auch Krieger denen “Druck” ist teuer;

Und nunmehr kommt die Reih’ an sie:

Den Weg zu ihnen hinzufinden,

Besteigen wir die Küch’ von hinten,

Die von dem Lager bringt die Speisen,

Um nachher wieder heimzureisen

Auf ihr gewahren wir voll Schrecken

Den Brauwers II am Kessel hocken.

Der denkt gewiss “Die arme Küche

Geht sicher noch mal in die Brüche!”

Dieweil die Protze ist schon hin.

Uns aber kommt es in den Sinn:

“Wär sie nur manchmal schon gebrochen,

Dann blieb’ manch Speise ungerochen!”

Grad, wie wir in das Lager biegen,

Begegnen wir dem Brauwers I,

Die ZIgarett in langen Zügen,

Hält er in seiner Hand Arznei.

Die Wichtigkeit lässt sich erkennen:

“Kein Pferd kann ohne ihn bestehn!”

Doch sieht man ihn nach Hasen rennen,

Bleibt ei’m das Herz vor Lachen stehn.

Mit dem “Gesocks” ist eng verwandt

Gefreiter Esser, allbekannt.

Die Knöpfe wohl verdient er hat,

Schrapnells gesehen hat er satt.

Vor Michael Kessenich gebt acht;

Zwar ist’s ein guter Kerl bei Nacht,

Doch kommt ein “Teufel” angeflogen,

Dem schlägt er einfach in die “Oogen”.

Und wiederum stehn wir vor eine Küche,

Diesmal entsteigen freilich bessere Gerüche.

Was Wunder auch: “Vom Rheine bis zum Belt

Ruft jeder laut: “Hier kocht der Möllerfeld!”

Heih, seht nur, wie die Augen blinken

Bei Büchsenfleisch und Büchsenschinken.

Was kümmert’s ihn ob “Feuern” wird verboten;

Er sagt “Ich koche mit Petroleumofen!”

Nun unser lieber Pieniak

Malucht, dass jede Fuge kracht.

Am “4.” War er früher immer;

Doch unsres Fahnenschmiedes Gewimmer.

Zog später ihn zur Feldschmied hin.

Der “Emil” war darob betroffen:

Weil “Jupp” noch nie hat Schnaps gesoffen.

Trank auch für ihn er stehts nen Pinn.

Nur einmal, ’s war so um Sylvester,

Bekam “Jupp” Durst auf alle Rester.

Er wollte “Feuerstrahlen” blasen,

Doch gab’s dabei verbrannte Nasen.

Dazu kommt noch das dicke Schwein

Von der Kolonn’ zu uns herein.

Es wird genannt der Eymers Fritz

Und süaft sich an hier einen Spitz.

Noch ein Gefreiter, ungeheuer,

Von dem Gesocks ist der Kalscheuer.

Oh, Gymnich, wunderschöne Stadt,

Von dem Gemüse ham wir satt.

Als letzter kommt nun, wohlbekannt,

Freund Epee aus dem Sachsenland.

Einst war er ebenfalls ein Streiter;

Jetzt ist er Schreiber und auch Reiter.

Und weil wir grad von Pferden sprechen,

Gedenken wir der Fahrerknechte,

Die weder Tag noch Nacht hab’n Ruh.

Es sind dies Wermelskirchen, Weiyer,

Der Otten, Pieper, Langemeyer,

Als Letzter kommt der Kops dazu.

Von ihnen ist uns wenig nur bekannt.

Wir wissen zwar, dass alle, abgespannt

Vom vielen Dienst des Tags, sich abends legen

Zur Ruh – und träumen vom “Bewegen”

Der Pferde andren Tags;

Dass sie sich schlagen, raufen, saufen,

Dass aber dennoch nicht sie möchten tauschen

Mit uns. Ich sag’s: “Kein Mensch ist unzufriedner,

Als grade unsre Stangenritter!”

Der Faust und Offermann als junge Krieger waren

Mit uns zu blut’gen Kämpfen ausgefahren.

Wie sehr sie fühlen sich mit uns verbunden,

Das zeigen “2mal 10Mark Stifgung” unumwunden.

Auch Schwiete, Cuno, Grimmeld, Haefs

Bezeigten ihre Treue stets.

Sie ließen alle Gelder springen,

Drum woll’n wir ihn’ ein Loblied singen.

Nun hätten wir sie durchgezogen

Vom Jahre “13”, die versammelt hier.

Mög jeder, dem der Buckel vollgelogen,

Sich trösten bei ‘nem Humpen Bier.

Ihr aber, liebe Kameraden,

Gedenkt des Tags, der diese Sprengung schuf.

Stimmt alle ein! Zu neuen Taten

Für heute gilt bei uns der Ruf:

“Und ob auch Frankreich, die Champagne sich verwundert; Es lebe die Reserve, sie hat ja nur noch Hundert!”

Zusatz aus der Gegenwart (anm.: Hiermit ist das Niederschreiben des Tagebuchs im Jahre 1930 gemeint):

Beim Schreiben dieser Zeilen aus längst vergangenen Zeiten fällt mir unwillkürlich ein Scherz ein, mit dem heute so mancher Vortragskünstler seine Ausführungen beginnt. Und wäre die Hundertsprengung erst jetzt, so würde er sicher sagen:

“Sehr verehrte Zuhörer! Ich bringe Ihnen nunmehr ein kleines Gedicht, betitelt: “Die Hundertsprengung der ehemaligen 1. Batterie Fussartillerie-Regiments Nr. 7” Es hat nur 71 Verse. Ich denke, wenn alles gut geht, werde ich wohl in 8 Tagen damit fertig sein!”

So ähnlich war es auch damals. Zwar haben wir über dem Vortrag der Verse durch einen Kameraden nicht 8 Tage gesessen, aber unsere lustige Feier war schließlich doch erst um 1 Uhr nachts zu Ende. Und es gab manche Überraschung, als der eine oder andere so unverblümt seine Sünden zu Ohr bekam.

Überhaupt atmet die ganze Versmacherei, an der auch ich nicht ganz unbeteiligt war, mitunter einen etwas recht derben Soldatenhumor, der sich aber auch ganz aus dem damaligen Feldleben ergab und vielleicht auch nur von denen recht verstanden wird, die selbst dabei waren.

Da wir heute wieder in etwas gesitteteren Verhältnissen leben, muss ich den Leser dieser Zeilen ausdrücklich um Nachsicht bitten.

Anmerkung: Um Nachsicht möchte auch der Betreiber dieses Blogs bitten. Aufgrund eines technischen Problems konnte der Beitrag gestern nicht veröffentlicht werden. Der nächste Beitrag folgt hingegen zugleich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert