1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

3.8.1917 Unternehmen „Zähringen“

/ / 21.7.-1.11.1917 Verdun

Unternehmen “Zähringen” – ein voller Erfolg. Erneuter Papierkrieg. Zwei Sonderkapitel: “Verpflegung” und “Reklamation”. Der Krieg sorgt auch für Humor. Doch, wer wirklich im Dreck saß, hält den Schnabel. Nach dem Kriege – Krieg dem Kriege.

Das von uns am 29.7. veranstaltete Unternehmen “Zähringen” hat vollen Erfolg gebracht.

Die feindlichen Stellungen wurden auf 2km Breite und 700m Tiefe genommen. Dabei fielen 500 Gefangene in unsere Hand. Die Franzosen antworteten noch am gleichen Abend mit einem Gegenangriff; erreichten jedoch nichts.

Seitdem wurden weitere vergebliche Gegenangriffe unternommen. Jetzt ist es wieder ruhig und man scheint sich mit dem Verlust des Geländes abzufinden.

Kein Wunder, dass sich schon wieder der Papierkrieg meldet.

Es ist nicht zu glauben, um was man sich alles kümmert. Da werden ellenlange Befehle erlassen über das Sammeln von alten Knochen, Kaffeegrund, Kisten, Blechbüchsen, alten Lumpen usw., da wird dieses und jenes verboten — aber nicht verboten wird das Hungern und nicht verboten das Liegen unter wasserundichten Zeltbahnen im Freien, wie es zurzeit noch bei etwa 30 Mannschaften unserer Batterie der Fall ist.

Freilich, unsere Kommandostellen werden von solchen Verhältnissen wohl nur wenig spüren. Ihre Unterkünfte sind 10mal besser als die unseren. Und ebenso wenig zu vergleichen ist “ihre” Verpflegung — wird ihnen doch nach der Kriegsverpflegungsvorschrift das “Fassen” der Lebensmittel ohne Angabe einer Kopfstärke gestattet.

Man sollte nur einmal die Küchen aller Stäbe – auch die der geringeren – unparteiisch revidieren lassen. Man würde starr werden vor Staunen, wie sich die den “Mannschaften” zugesprochenen 1/3 Brot- und Marmelade – sowie Affenfett-Gramm-Portionen in Kartoffeln, Braten, Gemüse, Wurst, Schinken und sonstwas zu verwandeln vermögen.

Wir aber gehen mit dieser Moral unaufhaltsam unserem Schicksal entgegen. Sie drückt auch allen anderen Dingen ihren Stempel auf.

Da ist z.B. Das leidige Kapitel “Reklamation”, das gerade in letzter Zeit recht eigenartige Formen angenommen hat.

Manch einer von uns fuhr in Urlaub – und ward nicht mehr gesehen. Die plötzliche Erkenntnis, dass er in der Heimat zum Bergmann, Fabrikleiter, Munitionsarbeiter oder Landwirt besonders geeignet sei, wurde Grund zur Reklamation und fand ein williges Ohr.

Solche Beispiele machen natürlich Schule und ich selbst muss bekennen, dass auch in mir über Nacht das Verlangen nach der Heimat und die Verzweiflung so stark wurden, dass ich die einzige Rettung noch in einem Reklamationsgesuch sah.

Der Antrag ist inzwischen abgelehnt worden.

“Solange ich noch der “k.v.” sei, wäre an eine Rücknahme aus der Front nicht zu denken!” Mit anderen Worten also: “Solange ich nicht mit meinem eigenen Kopf unterm Arme anrücke, bleibe ich zum Frontdienst verdammt!” Und so geht es tausenden meiner Kameraden.

Es ist überhaupt so grundverschieden, wie dieser Krieg von den einzelnen Teilnehmern erlebt und aufgefasst wird.

Vor einigen Tagen wurde z.B. Einem Kanonier Geld gestohlen. Der Verdacht fiel auf einen Kameraden, der bereits einige kleinere Diebereien auf dem Kerbholz hatte. Trotz strengster Untersuchung war ihm jedoch diesmal nichts nachzuweisen.

Schließlich wollte man aus seinem Briefverkehr mit der Heimat einen Anhaltspunkt finden. Aber auch das blieb ohne Erfolg.

Dafür besorgte mir ein Brief an seine Eltern einen so köstlichen Spaß, dass ich eine Indiskretion wage. Er hatte folgenden Wortlaut:

“Liebe Eltern! — Jetzt gerade setzt hier ein Trommelfeuer ein, wie noch selten. Nur die Ruhe nicht verlieren! Alles geht drunter und drüber!

Nochmals Gruss!

H…”

Das war aber nicht etwa das Erlebnis eines stürmenden, mit Gewehr, Handgranaten, Gasmaske, Stahlhelm und Sturmgepäck bewaffneten Kriegers, sondern nur das eines Offiziersburschen weit hinter der Front (man könnte auch ruhig sagen: das eines Kriegsberichterstatters), der gemütlich die Pfeife im Munde, auf einer kleinen Anhöhe gestanden und dem Rollen des Trommelfeuers etwa 12km vorwärts gelauscht hatte, schwach einige Leuchtkugeln steigen oder – wenn es hoch kam – vielleicht auch einige Schrapnells aufblitzen sah.

Ich halte diese kleine Episode fest, weil ich mir denken kann, dass es später mit den Kriegserlebnissen mancher “Etappenhengste” ähnlich aussehen wird. Je lauter sie reden, desto weiter waren sie vom Schuss ab.

Wer aber wirklich im Dreck saß, hält den Schnabel.

Trotzdem ist es gut, wenn man dies und jenes aufzeichnet.

Der Mensch neigt ja Gottseidank so leicht zum Vergessen des Schweren. Auf dieser These aber aufbauend, wird es nach Jahren genug geben, die sogar den Krieg als ein herrliches Erlebnis, als eine wunderbare Begebenheit preisen werden, die jederzeit wert sei, wiederholt zu werden.

Sollte mich jedoch ein gütiges Geschick vor dem Schlimmsten bewahren und mir einst die Heimat wieder schenken, so wird es für mich stets nur die eine Losung geben: “Nach dem Kriege – Krieg dem Kriege”

 

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 9.8.

  1. -Nach dem Kriege – Krieg dem Kriege- Das hat er durch sein Vermächtnis und seinen Urenkel tatsächlich getan. Dieses Kriegstagebuch zeigt deutlich warum (ein solcher) Krieg stets vermieden werden sollte.

    Antworten

  2. Nach dem Kriege – Krieg dem Kriege

    Ich frage mich, was wohl passiert wäre, hätte ein heldenhafter Offiziersbursche das Tagebuch in die Finger bekommen.

    Antworten

    • Vermutlich nichts.
      1. Die Tagebücher wurden in Kurzschrift geschrieben. Das schränkt schonmal den Kreis derer, die sie lesen konnten deutlich ein
      2. Wie ich die Tagebücher lese, wurde vieles nicht so explizit aufgezeichnet sondern hinterher beim aufschreiben so formuliert.

      es ist also gut möglich, dass der Satz in dieser Form nie in den handschriftlichen Büchern stand

      Antworten

      • Punkt 2 verstehe ich nicht recht. Ist der Satz ein Zitat oder von Ihnen so interpretiert?
        Ansonsten ist dies einer der herausragenden Einträge. Danke dafür!

        Antworten

        • Punkt 2 ist meine Interpretation (Ich bin ja der Urenkel und kommentiere hier nur mit dem Namen des Urgroßvaters weil ich gleichzeitig das Blog betreibe)

          Antworten

          • Stop!
            „Nach dem Kriege – Krieg dem Kriege”

            ist keine Interpretation, sondern entstammt der Feder und/oder Schreibmaschine des Ernst Pauleit.
            Lediglich der Entstehungsweg oder Zeitpunkt ist interpretiert und vermutlich die „Erwähnung im Titel“ ein Ergebnis nachträglicher Arbeit von Ernst oder Julian, denn Tagebücher schreibt man gewöhnlich ohne Überschriften spontan.

            Und damit gebührt Ernst Pauleit alle Ehre auch dafür.

            Für einen späteren Buchtitel wäre das sicher eine gute Wahl im Sinne von
            Nach dem Kriege – Krieg dem Kriege !
            Die Kriegstagebücher des Veteranen Ernst Pauleit von 1914 – 1918

            Immerhin wäre das mal eine spannende Vergleichslektüre zum Deutschunterricht Standardwerk „Im Westen nichts Neues“. Wäre genial, wenn man heute wüsste, ob Ernst Pauleit den Roman kannte und ob einer der Kriegsromande oder Veröffentlichungen ihn dazu motivierte, all die alten Tagebücher mit Schreibmaschine mühevoll von Kurzschrift ins Hochdeutsche zu über tragen, wo jeder Tippfehler für die Ewigkeit gemacht war und redigieren nur mit xxxx oder handschriftlichen Kommentaren möglich war.

            Es ist und bleibt ein großes Werk, das mehr Beachtung gerade in der Schule als vergleichende Lektüre verdient.
            Aber was will man schon von 16 depperten, egozentrischen Kultusministerien erwarten, die sich hinter Föderalismus verstecken, nur um ihren Kopf zu retten, obschon über flüssig wie ein Kropf, wenn Landesgrenzen überschreitende Schulwechsel zum Glücksspiel für Kinder werden. Die G12 Abenteuer haben doch gezeigt, wie unfähig und schlecht aufgestellt die Ministerien waren, denn die Gründe fürs spätere Scheitern waren bei Einführung bekannt und absehbar.

            Aber diese Tagebücher sind ein wesentlicher Teil deutscher Kultur(Geschichte), wie der 1. Weltkrieg für einfache Leute war, oder wie will man das sonst all den „neudeutschen Asyl Kids“ vermitteln, was da geschah, wie die einfachen dachten und fühlten und wie es aus den Kriegsfolgen zum Aufstieg Hitlers kommen konnte. Mein Opa wurde am Tag des Kriegsausbruch 13 Jahre und blieb in Schlesien von Wehrpflicht verschont, wurde aber zum glühenden Anhänger Hitlers, da er 1919 binnen einer Woche mit seinen Eltern von Polen aus Schlesien vertrieben und deren Eigentümer beraubt wurde. Noch Fragen, warum er NSDAP Mitglied wurde, nachdem er das Unrecht der Kriegsfolgen für seine Familie so bitter miterlebt hatte?
            Er machte nur 2 große Reisen: Nürnberger Reichsparteitag und via Moskau nach Sibirien in Kriegsgefangenschaft … und wieder zurück, zahlte sozusagen ein 2. und 3. Mal, denn seine eigene Familie war 1945 erneut vertrieben worden.

            Und nur so ist Geschichte zu vermitteln, statt blind damalige NSDAP Wähler und Mitglieder zu verteufeln, die jahrelang zuvor arbeitslos gewesen waren und den aus Enttäuschung wählten, der Besserung versprach und liefern sollte, ohne das große Ende absehen zu können.

            Und das konnten weder Deutsch- noch Geschichtsunterricht der 80er bis 2010er Jahre vermitteln – trotz 16 Kultusministerien.

            Antworten

  3. Sehr geehrter Herr Finn

    Mit größtem Respekt verfolge ich von Anfang an dieses Tagebuch Ihres Urgroßvaters und bewundere Ihre müssige Arbeit, die Sie in dieses Projekt investieren, um die erlebten Schrecken des Krieges widerzuspiegeln.
    Doch bitte ich Sie darum, ihrerseits nicht zu viele eigene Interpretationen einzuarbeiten, damit nach Möglichkeit das Original weitestgehend erhalten bleibt.

    Vielen Dank für die vergangenen drei Jahre, und bitte verstehen Sie diese kleine Kritik nicht falsch….

    Antworten

    • Da verstehen sie mich falsch. Ich tippe immer nur genau das ab, was mein Urgrossvater 1930 mit der Schreibmaschine in die drei grossen Bände getippt hat. Die Interpretationen / einordnungen, wenn es denn welche sind, stammen von ihm.

      Antworten

  4. Vielen Dank für die schnelle Aufklärung Ihrer Verfahrensweise. Jetzt ist mir alles klar und freue mich auf die restliche gemeinsame Zeit mit Ihrem Urgroßvater.
    Danke nochmals und weiter so….

    Antworten

  5. Innerhalb weniger Monate hat eine starke Radikalisierung stattgefunden.

    Antworten

    • Woran machen Sie das bitte schön fest?

      Hellseherei hilft wohl nicht und an sich ist das üble Nachrede, ihn als radikalisiert abzuschreiben, noch dazu einen Toten. Oder wo sind bitte schön Parallelen zu radikalisierten Mitgliedern der RAF zu finden?
      In deren Zusammenhang wurde das Wort „radikalisiert“ benutzt.

      Zudem müsste man, wollte man eine Tendenz begründen, dazu die Entstehung sorgfältig prüfen, denn – wie oben erläutert – lesen wir hier die Schreibmaschinen Version der 30er Jahre, deren Abweichungen zur grob 16 Jahre zuvor entstandenen Urversion in Kurzschrift keiner geprüft / kommuniziert haben dürfte.

      Bei der Quellenlage von „starker Radikalisierung innerhalb weniger Monate“ zu sprechen, ist nicht einmal ein schlechter Witz, sondern eine Art Fake News und üble Nachrede.

      Und selbst wenn es so etwas gegeben hätte, wäre unklar, ob er nicht schon länger ähnliche Gedanken gehegt, aber nur noch nicht niedergeschrieben hätte, oder ob er sie lediglich nicht in den 30ern mit aus der handschriftlichen Urschrift übertrug.

      Radikalisierung ist sicher was anderes, denn hier ist kein Aufruf zu erkennen wie in den Matrosenaufständen von 1918,

      nicht einmal ansatzweise,
      und schon gar nichts im Stil einer RAF.

      Er kritisiert lediglich die Zustände und Umstände und Ungerechtigkeiten an so konkret beschriebenen Beispielen, dass wir grob 85 Jahre nach der Schreibmaschinenversion noch in der Lage sind, das selber mit beurteilen zu können. Dem gebührt unser Dank, aber sicher keine negative Zuschreibung oder besser üble Nachrede wie hier mit „RADIKALISIERUNG“

      Ich finde eher seine Weitsicht beeindruckend, wie er vorausschauend die Zukunft absieht, dass das Kanonenfutter schweigen würde statt zu prahlen wie die Etappenhengste und dazu Beispiele des Sommer 1917 notierte.

      Genau das Schwadronieren sollte später doch zu Hauf passieren.

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert