Befehlsempfang mit Hindernissen. Zähe Kämpfe auf beiden Seiten. Die Batterie erhält erneut Feuer. Kirchenbeobachtung in Aubers.
Sonntag. 8 Uhr vormittags: Ich habe eine bewegte Nacht hinter mir. Der Befehlsempfang beim Bataillon – etwa eine halbe Stunde vom Quartier entfernt -, zu dem ich abkommandiert war, zerfiel in 3 Etappen.
Das erste Mal rückte ich abends 9 Uhr ab, um erst gegen halb 11 Uhr nachts wieder zurück zu kehren. Dann musste ich den Weg noch 4 Mal, und zwar um 12 und um halb 3 zuletzt um 8 und 7 Uhr morgens abklabastern.
Es war ein besonderes Vergnügen. Bei der REise in der Finsternis – ohne jede Beleuchtung am Rad, und auf Straßen, die durch zahlreiche Geschosslöcher und Barrikaden versperrt waren – wurde mir mehr als einmal Gelegenheit geboten, in herrlichem Saltomortale mit der Mutter Erde Bekanntschaft zu machen. An den in die Nacht geisternden Gräbern des Friedhofes von Herlies trat ich mit verdoppelter Kraft in die Pedalen. Die Totenstille ringsum hockte wie ein Gespenst auf meinem Nacken.
Leider wurde mein Opfer an Nachtruhe nur schlecht gelohnt. Der einzige Befehl, den sich die Brigade am frühen Morgen abgequetscht und dem Bataillon zur Weitergabe an die Batterien mitgeteilt hatte, lautete:
“1. Verpflegungsausgabe 2 Uhr nachmittags. In Anoeullin. Hauptverbandsplatz in L’Aventure. Leichtverwundeten-Sammelplatz in Don, Gefechtsstaffel in Sainghin. Leichte Kolonne bleibt Bahnhof Marquillies alarmbereit. 2. I/Fussa. 7 untersteht dem General Schw…. 79. Brigade.”
Nachdem ich diese Meldung soeben an die zuständige Stelle abgeliefert habe, kann ich mich nunmehr endlich für einige Stunden aufs Ohr legen.
Halb 12 Uhr mittags: Die Strapazen der Nachtfahrt sind überwunden. Hunger und Kampfeslärm lassen mich gerade zur rechten Zeit wach werden, um das wohlverdiente Mittagsmahl einzunehmen.
An der Front hat der Krieg inzwischen auch ohne mich seinen Fortgang genommen. Unsere Batterie ist – wie ich erst jetzt erfahre – bereits in den frühen Morgenstunden dicht neben der alten Stellung erneut aufgefahren und hat das sonnenklare Wetter am Vormittag reichlich ausgenutzt. Das Gleiche gilt allerdings auch von den Fliegern und der Artillerie der Engländer, die schon wieder einige Kuckucks-Eier in unser neues Nest gelegt haben.
Wir lassen uns dadurch wenig beirren. Nachdem es in der Nacht gelungen ist, in unserem Abschnitt 2 Regimenter Schottländer gefangen zu nehmen, hoffen wir vielmehr zuversichtlich, dass wir mit Hilfe unserer braven “Sandhasen” auch das übrige Engländer- und Indierpack recht bald zum Tempel (lies: Schützengraben) hinaustreiben werden.
Das flache, mit Buschwerk und Häusergruppen durchsetzte Gelände bietet freilich nur schlechten Einblick in die feindlichen Stellungen. Die zunächst links vorwärts eingerichtete Seitenbeobachtung ist deshalb vor zwei Stunden wieder eingezogen worden. Wir bedienen uns jetzt der Bataillonsbeobachtung auf dem Kirchturm von Aubers unmittelbar vor der Batterie.
3 Uhr nachmittags: Die Batterie erhält seit etwa einer Stunde in längeren Abständen Feuer. Die Schüsse liegen meist seitlich links kurz oder rechts weit heraus. Das hindert uns jedoch nicht, eine vom Kirchturm aus erkannte feindliche Batterie ebenfalls, und zwar auf einer Entfernung von 6100m, unter Feuer zu nehmen.
Die vorerwähnte Seitenbeobachtung ist inzwischen, da sich anderweit ein besserer Ersatz nicht auftreiben ließ, wieder besetzt worden. Auch ich bin dort.
7 Uhr abends stellen wir unsere Tätigkeit ein. Unser altes Quartier wartet mit einem Festbraten von 6 Hühnern und 2 Enten auf – für 12 Mann ein ganz hübscher Fraß!
9 Uhr Schlafen.
Der nächste Tagebucheintrag folgt am 26.10.