Wie wir das Weihnachtsfest im Süden verlebten.
Keilerei mit Tanzvergnügen. Die Spannung zwischen Bayern und Preussen. Auch für die Schreibstube gibt es eine Tapferkeitsmedaille.
Weihnachtsabend!
6 Uhr nachmittags. Jetzt bin ich meinem Tagebuch wahrhaftig volle 10 Tage untreu gewesen. Grund: Es ist rein gar nichts mehr von der Front zu berichten.
Als ich vom Urlaub zurückkam, hatte der Krieg durch den anhaltenden, dicken Nebel eine starke Einschränkung erlitten und jetzt scheinen sich die Italiener an diesen angenehmen Ruhezustand – wenigstens in unserem Abschnitt Görz – gewöhnt zu haben.
Links von uns freilich ist seit meiner Rückkehr mancher harte Strauss ausgefochten worden; und auch heute am Heiligen Abend knattert es von dort fortwährend zu uns herüber. Arme Kerle, die jetzt im Schützengraben, Gewehr im Anschlag, der Weihnacht gedenken müssen.
Wie glücklich sind dagegen wir daran.
In unserer Sammelstelle sowohl wie in der Feuerstellung herrscht schon seit 14 Tagen Festes-Aufregung. Alle Hände rühren sich; alle Hebel werden in Bewegung gesetzt, um die bevorstehende Feier zu einer dauernden Erinnerung werden zu lassen.
Der Mannschaftssaal in der Ziegelei prangt im Weihnachtsschmuck. Mit Tannenzweigen und Christbäumen geziert, ladet er zum Verweilen ein.
Das Programm des Abends ist reichhaltig und zum Teil hoch künstlerisch ausgestaltet. Alles ist gespannt auf die Dinge, die da kommen sollen. Wir werden an unsere Kindheit zurückerinnert – und größer als jetzt kann auch damals die Erwartung nicht gewesen sein.
11 Uhr abends. Wie alle Weihnachtsfeiern, so ging auch die heutige vorüber — leider aber mit einer kleinen, nicht vorgesehenen Programmänderung.
Um 7 Uhr saßen wir endlich beisammen. Sämtliche Offiziere der Batterie waren zur Stelle. Ein Lied des schnell gegründeten Batterie-Sängerchors leitete das Fest ein. Dann folgten abwechselnd heitere und ernste Vorträge der Kameraden, Klaviersoli, gemeinschaftliche Lieder und ein Theaterstück.
Besonders gelungen waren die Darbietungen eines Kameraden (in Zivil Architekt), der die “Verbrecher und Nummern” der Batterie (wie es in der Soldatensprache heisst, ohne dass man diese Ausdrücke allzu tragisch zu nehmen braucht) in Vers und Bild naturgetreu festgehalten hatte. Die Lachmuskeln wurden dabei ordentlich in Tätigkeit gesetzt.
Zum Schluss sollte die Verlosung der österreichischen Liebesgaben und die allgemeine Bescherung stattfinden. Leider folgte hier aber, nachdem die Offiziere eben das Lokal verlassen hatten, dem gemütlichen Teil ein noch gemütlicherer, nämlich eine “allgemeine Keilerei mit Tanzvergnügen” oder sagen wir auch, weil wir nun zufällig Bayern unter uns und außerdem der Anlass hierzu waren, eine “Raaferei”.
Wie dies so plötzlich kommen konnte, ist mir ein Rätsel. Jedenfalls brach aber auf einmal ein wüster Lärm aus, dem eine allgemeine Drängelei und zuletzt ein: “ Schlag zu, wer kann, mit Händen und Fäusten!” folgte — nach allgemeinen Rezept: “Licht aus, Messer raus, 10 Mann zum Blutrühren!”
Wenn es letzten Endes auch bloß ein paar Beulen und blaue Flecke absetzte – denn einige energische Fäuste schafften schnell wieder Ruhe – so passte diese Szene doch wenig in den Weihnachtszauber hinein.
Zur Ehrenrettung der Allgemeinheit muss ich aber nochmals betonen, dass lediglich das fortgesetzte herausfordernde Verhalten einiger bayrischer Landsleute gegenüber den übrigen Kameraden, besonders den aus Preußen stammenden, nach und nach eine immer gereiztere Stimmung in der Batterie erzeugt hatte, die schließlich zur Explosion treiben musste.
Nachdem der Knacks, den das bei der Gründung unserer Batterie gestellte Problem auf die deutsche Einigkeit plötzlich erlitten hatte, wieder notdürftig geheilt war, konnte die Bescherung doch noch durchgeführt werden. Die uns von den Österreichern gespendeten Liebesgaben waren außerordentlich reichlich, wofür wir unseren Bundesbrüdern besonderen Dank schulden.
Mir selbst wurde noch eine besondere Ehrung zuteil. Ich erhielt mit einigen anderen Kameraden die österreichische “Bronzene Tapferkeitsmedaille”.
Das heißt: “ Ich wasche meine Hände in Unschuld.” Sie ist mir gegen meinen Willen verliehen worden, denn ich war mir von vornherein darüber klar, dass der Aufenthalt auf der Schreibstube eine solche Auszeichnung nicht rechtfertigt.
Aber, was soll ein hochwohlllöbliches Korpskommando wohl machen, wenn schon alle “Koryphäen” der Batterie damit bedacht sind, nur noch das sogenannte “Kruppzeug” vorhanden ist und ein Weihnachtsfest nicht ohne den üblichen Ordenssegen bleiben darf?
Trösten wir uns deshalb mit den vielen andern, die in diesem Kriege “ebenfalls nicht säten – und doch ernten!”
Der nächste Tagebucheintrag folgt am 31.12.
Volker Hetzer
Amüsierte Grüße – aus Augsburg…
🙂
Klaus
Wer ist denn der streng blickende Herr auf der Weihnachtskarte? Er hat zwar unterschrieben, aber ich kann die Unterschrift leider nicht entziffern.
Peter Ehrchen
Das ist Erzherzog Eugen, Kommandeur der österreichischen Südwestfront
Klaus
Danke. Jetzt, wo man’s weiß, kann man’s auch entziffern 😉