1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

19.6.1917 Papierkrieg

/ / Zum zweiten Mal an der Aisne 3.3.17-8.7.17

Ein Unglückstag. 3 blühende Menschenleben zerfetzt. Der Papierkrieg. Trotz “Ruhe” an der Front – Tag und Nacht auf den Beinen. Die Widerwärtigkeiten des Kapitels “Urlaub”. Ein Anschnauzer auf dem Gefechtsstande des Bataillons.

Unsere 13cm-Kanone „blessiert“

Der heutige Tag ist ein Unglückstag für uns — und meine Ansicht, dass es vorn wie hinten dasselbe sei, muss ich revidieren.

Wie das leider schon so oft der Fall war, so hat man auch hier an der Aisne nach eingetretener Kampfesruhe wieder die nötige Zeit gefunden, dem “Papierkrieg” zu seinem Recht zu verhelfen. Die möglichsten und unmöglichsten Dinge werden vom Armee-Oberkommando herab bis zu den kleinsten Artillerie- oder Gruppen-Kommandostellen ausgeheckt.

Am meisten beschäftigt man sich zurzeit mit dem Thema “Stellungsbau”. Gewiss, eine löbliche Tugend. Wenn man aber darüber und über manche andere Sachen den vorgesetzten Stellen fast stündlich, täglich, wöchentlich und noch verschiedene Male ausserterminlich zu berichten hat, dann kann man – gelinde ausgedrückt – das große Kotzen kriegen. Die ewige Triezerei wirkt sich aus als eine rücksichtslose Ausnutzung aller Beteiligten, denen nach den verflossenen schweren Kampftagen etwas Ruhe weit besser tun würde.

Haben wir aber schließlich mit vieler Müh und großem Aufwand eine Geschützstellung wirklich wohnungsmäßig hergerichtet, dann gefällt es plötzlich dieser oder jener Stelle, uns eine neue Stellung anzuweisen. — Und dort geht dann der ganze Rummel wieder von vorn los.

Hier an der Aisne können wir von dieser Methode bereits ein Lied singen.

Vor wenigen Tagen mussten wir unsere letzte, gut eingedeckte Feuerstellung am Prouvais-Berge wieder aufgeben und gegen eine weiter vorwärts liegende, unausgebaute Stellung bei Menneville eintauschen.

Und nun ist das Unglück da.

Während wir in der bisherigen Stellung Gott sei dank keinerlei Verluste zu beklagen hatten, sind heute in der neuen durch einen Volltreffer mit einem Schlage 3 blühende Menschenleben vernichtet worden. Sie waren vollkommen zerfetzt und in alle Winde zerstreut, so dass es Mühe kostete, die einzelnen Teile zusammenzufinden und festzustellen, wer die Unglücklichen überhaupt waren.

Auch die Beobachtung sollte ursprünglich weiter nach vorn verlegt werden. Erst mit vieler Mühe haben wir unsere höheren Befehlshaber davon überzeugen können, dass an keiner anderen Stelle unseres Abschnittes ein besserer Ausblick besteht als an der jetzigen.

Nach allem aber, was ich täglich sehe und höre, ist es mir klarer denn je: “Nichts ist schlimmer für eine kampferprobte Truppe — als eine Stellung, in die allmählich wieder Ruhe einkehrt!”

Krieg auf dem Papier und Krieg nach Schema “F”. Innerhalb eineinhalb Monaten haben wir ein dickes Aktenstück voller Befehle vor uns liegen. Je nichtiger die Angelegenheit ist, desto mehr Worte verliert man um sie. Nebenher laufen noch hunderterlei kleinere und größere Tagesbefehle, die man eben nur durchliest und sich dann um die Ohren schlägt – um sie wieder zu vergessen. Dann einprägen und gar danach handeln, währe Wahnsinn.

Auch der Dienst als Hilfsbeobachter wird unter den Folgen des Papierkrieges immer unangenehmer. Tag um Tag und Nacht um Nacht abwechselnd 2 Stunden am Scherenfernrohr und dann 4 Stunden in der Wellblechbude Studieren der Befehle, Anfertigung von Skizzen und Karten sowie Abgabe von Meldungen – teils schriftlich, teils fernmündlich und teils nach dem Motto: “Die Welt will belogen und betrogen sein!” — dabei kann selbst das beste Pferd kaputt gehen.

Und wie sich so eine Widerwärtigkeit an die andere fügt, so ist es eigentlich gar nicht zu verwundern, dass es beispielsweise auch mit dem Kapitel “Urlaub” oberfaul steht. Es wird zu sehr mit ungleichem Maß gemessen. Was den Unteren abgezogen wird, das wird den Oberen doppelt und dreifach zugelegt.

Dabei begeht man noch die Dummheit zu glauben, dass niemand etwas davon merke. Doch ist dies ein gewaltiger Irrtum.

Für Ungerechtigkeiten hat der einfache Mann ein umso schärferes Ohr und Auge — und auch Empfinden. Man möge nur einmal unter den Kameraden umhören, was man alles weiß und wie man darüber urteilt. Ein blaues Wunder würde man erleben.

Doch beim Kommiss gibt’s eben nur eins: “Blinder Gehorsam und durch-, aus- und Maulhalten!”

Warum ich trotzdem die Insubordination begehe aufzubegehren? — Papier ist geduldig und verschwiegen – und im Augenblick habe ich in meinem Tagebuch wohl den einzigen Vertrauten, dem ich mein übervolles Herz ausschütten kann.

Wer anders sollte mich auch darüber hinwegtrösten, dass ich heute am Bataillons-Gefechtsstand in feldmarschmäßigem Aufzuge antreten und einen Anschnauzer einstecken musste, weil mir einmal die Galle übergelaufen war und Anlass gegeben hatte, einen Bataillons-Fernsprecher ob der fortgesetzten Zwiebelei anzufahren?

Oh, ich war geladen wie eine “Haubitze”, und wenn der Bataillons-Kommandeur zunächst geglaubt hatte, ich wäre als reuiger Sünder angeschoben, so war er diesmal doch schief gewickelt.

Er hielt mir eine donnernde Philippika – ich hielt (nach vorsichtshalber vorher eingeholter Erlaubnis) ebenfalls nicht den Schnabel – und zum Schluss einigten wir uns dahin, dass ich durch den nächsten Bataillons-Befehl irgendeine Strafe zudiktiert erhalten sollte, für die der “Straftenor” allerdings erst noch erfunden werden musste.

Als ich wieder heimwärts stiefelte, war mir fast selig zu Mute.

Aber, alles in allem ist doch im Laufe der Kriegsjahre manches bei uns faul geworden, worüber man nicht mehr schweigen kann – und so habe ich denn auch diesen unliebsamen Zwischenfall in meiner heutigen Epistel mit streifen müssen.

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 8.7.

  1. Noch keiner hier gewesen trotz des spannenden Tagebucheintrags?

    Es wird so langsam mehr und mehr erkennbar, was ihn bewegt, was sich um ihn bewegt und wie viele Anstrengungen nicht der Front gelten, sondern entmutigender Verwaltungsvorgaben, sobald sich mal „Ruhe“ einstellen könnte.

    Dabei ist er ja noch ein Beamter, der sich mit Verwaltung auskennt und nicht mit deren Papieren auf Kriegsfuß steht.

    Die Haut scheint dünner zu werden. Zudem gab es seit längerer Zeit wieder einen / drei Tote/n in der Kompanie.

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  2. Die Krieg Haltung gegenüber dem Krieg ist eine entschieden andere als zu der Zeit, in der er in den Dolomiten und Oberitalien war.

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  3. man liest und leidet mit

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